Tag so ganz und gar?" -- "O nein!" erwiederte sie, auf ihr Costüm deutend, welches schon zu¬ sammengelegt auf dem Tische lag, die Krone oben auf, "ich will auch diese Sachen aufbe¬ wahren und sie sollen nie mehr getragen werden!"
Ich ging hinab, den Braunen zu füttern, und während ich ihm das Brot vorschnitt und ein Stück um das andere in das Maul steckte, stand Anna an dem offenen Fenster, ihr Haar vollends aufbindend, und schaute mir zu. Die gemächliche Beschäftigung unserer Hände in der Stille, die über dem Gehöfte lagerte, erfüllte uns mit einer tiefen und von Grund aus glücklichen Ruhe, und wir hätten Jahre lang so verharren mögen; manchmal biß ich selbst ein Stück von dem Brote, ehe ich es dem Pferde gab, worauf sich Anna ebenfalls Brot aus dem Schranke holte und am Fenster aß. Darüber mußten wir lachen, und wie uns das trockene Brot so wohl schmeckte nach dem festlichen und geräuschvollen Mahle, so schien auch die jetzige Art unseres Zu¬ sammenlebens das rechte Fahrwasser zu sein, in welches wir nach dem kleinen Sturme eingelaufen
Tag ſo ganz und gar?« — »O nein!« erwiederte ſie, auf ihr Coſtuͤm deutend, welches ſchon zu¬ ſammengelegt auf dem Tiſche lag, die Krone oben auf, »ich will auch dieſe Sachen aufbe¬ wahren und ſie ſollen nie mehr getragen werden!«
Ich ging hinab, den Braunen zu fuͤttern, und waͤhrend ich ihm das Brot vorſchnitt und ein Stuͤck um das andere in das Maul ſteckte, ſtand Anna an dem offenen Fenſter, ihr Haar vollends aufbindend, und ſchaute mir zu. Die gemaͤchliche Beſchaͤftigung unſerer Haͤnde in der Stille, die uͤber dem Gehoͤfte lagerte, erfuͤllte uns mit einer tiefen und von Grund aus gluͤcklichen Ruhe, und wir haͤtten Jahre lang ſo verharren moͤgen; manchmal biß ich ſelbſt ein Stuͤck von dem Brote, ehe ich es dem Pferde gab, worauf ſich Anna ebenfalls Brot aus dem Schranke holte und am Fenſter aß. Daruͤber mußten wir lachen, und wie uns das trockene Brot ſo wohl ſchmeckte nach dem feſtlichen und geraͤuſchvollen Mahle, ſo ſchien auch die jetzige Art unſeres Zu¬ ſammenlebens das rechte Fahrwaſſer zu ſein, in welches wir nach dem kleinen Sturme eingelaufen
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Tag ſo ganz und gar?« — »O nein!« erwiederte
ſie, auf ihr Coſtuͤm deutend, welches ſchon zu¬
ſammengelegt auf dem Tiſche lag, die Krone
oben auf, »ich will auch dieſe Sachen aufbe¬
wahren und ſie ſollen nie mehr getragen werden!«
Ich ging hinab, den Braunen zu fuͤttern,
und waͤhrend ich ihm das Brot vorſchnitt und
ein Stuͤck um das andere in das Maul ſteckte,
ſtand Anna an dem offenen Fenſter, ihr Haar
vollends aufbindend, und ſchaute mir zu. Die
gemaͤchliche Beſchaͤftigung unſerer Haͤnde in der
Stille, die uͤber dem Gehoͤfte lagerte, erfuͤllte uns
mit einer tiefen und von Grund aus gluͤcklichen
Ruhe, und wir haͤtten Jahre lang ſo verharren
moͤgen; manchmal biß ich ſelbſt ein Stuͤck von
dem Brote, ehe ich es dem Pferde gab, worauf
ſich Anna ebenfalls Brot aus dem Schranke
holte und am Fenſter aß. Daruͤber mußten wir
lachen, und wie uns das trockene Brot ſo wohl
ſchmeckte nach dem feſtlichen und geraͤuſchvollen
Mahle, ſo ſchien auch die jetzige Art unſeres Zu¬
ſammenlebens das rechte Fahrwaſſer zu ſein, in
welches wir nach dem kleinen Sturme eingelaufen
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/428>, abgerufen am 23.11.2024.
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