Hals und sagte: "Glück ist Glück und es giebt nur Ein Glück; aber ich kann dich nicht länger hier behalten, wenn du mir nicht gestehen willst, daß du und des Schulmeisters Tochter einander gern habt! Denn nur das Lügen macht Alles schlimm!"
Ohne Rückhalt begann ich nun, ihr die ganze Geschichte zu erzählen von Anfang bis zu Ende, Alles, was je zwischen Anna vorgefallen, und verband die beredte Schilderung ihres We¬ sens mit derjenigen der Gefühle, die ich für sie empfand. Ich erzählte auch genau die Geschichte des heutigen Tages und klagte der Judith meine Pein in Betreff der Sprödigkeit und Scheue, welche immer wieder zwischen uns traten. Nach¬ dem ich lange so erzählt und geklagt, antwortete sie auf meine Klagen nicht, sondern fragte mich: "Und was denkst du dir jetzt eigentlich darunter, daß du bei mir bist?" Ganz verwirrt und be¬ schämt schwieg ich und suchte ein Wort; dann sagte ich endlich zaghaft: "du hast mich ja mit¬ genommen!" -- "Ja", erwiederte sie, "aber wärest du mit jeder anderen hübschen Frau ebenso ge¬
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Hals und ſagte: »Gluͤck iſt Gluͤck und es giebt nur Ein Gluͤck; aber ich kann dich nicht laͤnger hier behalten, wenn du mir nicht geſtehen willſt, daß du und des Schulmeiſters Tochter einander gern habt! Denn nur das Luͤgen macht Alles ſchlimm!«
Ohne Ruͤckhalt begann ich nun, ihr die ganze Geſchichte zu erzaͤhlen von Anfang bis zu Ende, Alles, was je zwiſchen Anna vorgefallen, und verband die beredte Schilderung ihres We¬ ſens mit derjenigen der Gefuͤhle, die ich fuͤr ſie empfand. Ich erzaͤhlte auch genau die Geſchichte des heutigen Tages und klagte der Judith meine Pein in Betreff der Sproͤdigkeit und Scheue, welche immer wieder zwiſchen uns traten. Nach¬ dem ich lange ſo erzaͤhlt und geklagt, antwortete ſie auf meine Klagen nicht, ſondern fragte mich: »Und was denkſt du dir jetzt eigentlich darunter, daß du bei mir biſt?« Ganz verwirrt und be¬ ſchaͤmt ſchwieg ich und ſuchte ein Wort; dann ſagte ich endlich zaghaft: »du haſt mich ja mit¬ genommen!« — »Ja«, erwiederte ſie, »aber waͤreſt du mit jeder anderen huͤbſchen Frau ebenſo ge¬
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Hals und ſagte: »Gluͤck iſt Gluͤck und es giebt
nur Ein Gluͤck; aber ich kann dich nicht laͤnger
hier behalten, wenn du mir nicht geſtehen willſt,
daß du und des Schulmeiſters Tochter einander
gern habt! Denn nur das Luͤgen macht Alles
ſchlimm!«
Ohne Ruͤckhalt begann ich nun, ihr die
ganze Geſchichte zu erzaͤhlen von Anfang bis zu
Ende, Alles, was je zwiſchen Anna vorgefallen,
und verband die beredte Schilderung ihres We¬
ſens mit derjenigen der Gefuͤhle, die ich fuͤr ſie
empfand. Ich erzaͤhlte auch genau die Geſchichte
des heutigen Tages und klagte der Judith meine
Pein in Betreff der Sproͤdigkeit und Scheue,
welche immer wieder zwiſchen uns traten. Nach¬
dem ich lange ſo erzaͤhlt und geklagt, antwortete
ſie auf meine Klagen nicht, ſondern fragte mich:
»Und was denkſt du dir jetzt eigentlich darunter,
daß du bei mir biſt?« Ganz verwirrt und be¬
ſchaͤmt ſchwieg ich und ſuchte ein Wort; dann
ſagte ich endlich zaghaft: »du haſt mich ja mit¬
genommen!« — »Ja«, erwiederte ſie, »aber waͤreſt
du mit jeder anderen huͤbſchen Frau ebenſo ge¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/459>, abgerufen am 24.11.2024.
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