ich wieder einmal ein wenig küssen wollte, was ich auch gleich hernach thun will, du bist mir da¬ zu gerade recht! Zweitens wollte ich dich als ein hochmüthiges Bürschchen ein wenig in die Schule nehmen, und drittens macht es mir Vergnügen, in Ermangelung eines Anderen, den Mann zu lieben, der noch in dir verborgen ist, wie ich dich schon als Kind gern gesehen habe." Mit diesen Worten packte sie mich und fing an mich zu küs¬ sen, daß es mir glutheiß wurde und ich nur, um die Gluth zu kühlen, ihre feuchten Lippen festhal¬ ten und wieder küssen mußte. Als ich Anna ge¬ küßt, war es gewesen, als ob mein Mund eine wirkliche Rose berührt hätte; jetzt aber küßte ich eben einen heißen, leibhaften Mund und der ge¬ heimnißvolle balsamische Athem aus dem Inneren eines schönen und starken Weibes strömte in vol¬ len Zügen in mich über. Dieser Unterschied fiel mir so auf, daß mitten im heftigen Küssen Anna's Stern aufging, eben als Judith mehr wie für sich flüsterte: "Denkst du nun auch an dein Schätzchen?" -- "Ja," erwiederte ich, "und ich geh' nun!" und wollte mich losmachen. "So
ich wieder einmal ein wenig kuͤſſen wollte, was ich auch gleich hernach thun will, du biſt mir da¬ zu gerade recht! Zweitens wollte ich dich als ein hochmuͤthiges Buͤrſchchen ein wenig in die Schule nehmen, und drittens macht es mir Vergnuͤgen, in Ermangelung eines Anderen, den Mann zu lieben, der noch in dir verborgen iſt, wie ich dich ſchon als Kind gern geſehen habe.« Mit dieſen Worten packte ſie mich und fing an mich zu kuͤſ¬ ſen, daß es mir glutheiß wurde und ich nur, um die Gluth zu kuͤhlen, ihre feuchten Lippen feſthal¬ ten und wieder kuͤſſen mußte. Als ich Anna ge¬ kuͤßt, war es geweſen, als ob mein Mund eine wirkliche Roſe beruͤhrt haͤtte; jetzt aber kuͤßte ich eben einen heißen, leibhaften Mund und der ge¬ heimnißvolle balſamiſche Athem aus dem Inneren eines ſchoͤnen und ſtarken Weibes ſtroͤmte in vol¬ len Zuͤgen in mich uͤber. Dieſer Unterſchied fiel mir ſo auf, daß mitten im heftigen Kuͤſſen Anna's Stern aufging, eben als Judith mehr wie fuͤr ſich fluͤſterte: »Denkſt du nun auch an dein Schaͤtzchen?« — »Ja,« erwiederte ich, »und ich geh' nun!« und wollte mich losmachen. »So
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ich wieder einmal ein wenig kuͤſſen wollte, was
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zu gerade recht! Zweitens wollte ich dich als ein
hochmuͤthiges Buͤrſchchen ein wenig in die Schule
nehmen, und drittens macht es mir Vergnuͤgen,
in Ermangelung eines Anderen, den Mann zu
lieben, der noch in dir verborgen iſt, wie ich dich
ſchon als Kind gern geſehen habe.« Mit dieſen
Worten packte ſie mich und fing an mich zu kuͤſ¬
ſen, daß es mir glutheiß wurde und ich nur, um
die Gluth zu kuͤhlen, ihre feuchten Lippen feſthal¬
ten und wieder kuͤſſen mußte. Als ich Anna ge¬
kuͤßt, war es geweſen, als ob mein Mund eine
wirkliche Roſe beruͤhrt haͤtte; jetzt aber kuͤßte ich
eben einen heißen, leibhaften Mund und der ge¬
heimnißvolle balſamiſche Athem aus dem Inneren
eines ſchoͤnen und ſtarken Weibes ſtroͤmte in vol¬
len Zuͤgen in mich uͤber. Dieſer Unterſchied fiel
mir ſo auf, daß mitten im heftigen Kuͤſſen Anna's
Stern aufging, eben als Judith mehr wie fuͤr
ſich fluͤſterte: »Denkſt du nun auch an dein
Schaͤtzchen?« — »Ja,« erwiederte ich, »und ich
geh' nun!« und wollte mich losmachen. »So
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/462>, abgerufen am 24.11.2024.
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