Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

der Zweite verbrennen ließ, haben ihm gewiß
längst verziehen und betrachten ihn wie einen
anderen Mann, der gefehlt hat, während
die Millionen Protestanten, welche leben, ihm
immer noch nicht verzeihen können, weil die
Wirkungen seiner That noch täglich vor unser
Aller Augen sind, und, ihn selbst betreffend, ist
es gar nicht denkbar, daß er sein weltgeschicht¬
liches Unrecht habe vergessen können; denn wenn
er auch mit seinem Tode als König abgesetzt
und in den Wirbel der anderen Wesen gerissen
wurde, so hörte er darum nicht auf, Philipp der
Zweite zu sein, vielmehr, wenn er es je gewesen
ist, wird er es ewig bleiben. Dadurch aber, daß
nur die vom Unrecht Betroffenen unmittelbar
verzeihen, was man so verzeihen nennt, bleibt
zuletzt doch kein Haß übrig, als derjenige gegen
das Böse, das man in sich selber hat; denn das
Nichtverzeihen der Uebrigen ist wieder etwas
Anderes.

Es ist merkwürdig, daß die Menschen immer
nur große Dummheiten, die sie begangen, glauben
nicht vergessen zu können, sich bei deren Erin¬

der Zweite verbrennen ließ, haben ihm gewiß
laͤngſt verziehen und betrachten ihn wie einen
anderen Mann, der gefehlt hat, waͤhrend
die Millionen Proteſtanten, welche leben, ihm
immer noch nicht verzeihen koͤnnen, weil die
Wirkungen ſeiner That noch taͤglich vor unſer
Aller Augen ſind, und, ihn ſelbſt betreffend, iſt
es gar nicht denkbar, daß er ſein weltgeſchicht¬
liches Unrecht habe vergeſſen koͤnnen; denn wenn
er auch mit ſeinem Tode als Koͤnig abgeſetzt
und in den Wirbel der anderen Weſen geriſſen
wurde, ſo hoͤrte er darum nicht auf, Philipp der
Zweite zu ſein, vielmehr, wenn er es je geweſen
iſt, wird er es ewig bleiben. Dadurch aber, daß
nur die vom Unrecht Betroffenen unmittelbar
verzeihen, was man ſo verzeihen nennt, bleibt
zuletzt doch kein Haß uͤbrig, als derjenige gegen
das Boͤſe, das man in ſich ſelber hat; denn das
Nichtverzeihen der Uebrigen iſt wieder etwas
Anderes.

Es iſt merkwuͤrdig, daß die Menſchen immer
nur große Dummheiten, die ſie begangen, glauben
nicht vergeſſen zu koͤnnen, ſich bei deren Erin¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0128" n="118"/>
der Zweite verbrennen ließ, haben ihm gewiß<lb/>
la&#x0364;ng&#x017F;t verziehen und betrachten ihn wie einen<lb/>
anderen Mann, <hi rendition="#g">der gefehlt hat</hi>, wa&#x0364;hrend<lb/>
die Millionen Prote&#x017F;tanten, welche leben, ihm<lb/>
immer noch nicht verzeihen ko&#x0364;nnen, weil die<lb/>
Wirkungen &#x017F;einer That noch ta&#x0364;glich vor un&#x017F;er<lb/>
Aller Augen &#x017F;ind, und, ihn &#x017F;elb&#x017F;t betreffend, i&#x017F;t<lb/>
es gar nicht denkbar, daß er &#x017F;ein weltge&#x017F;chicht¬<lb/>
liches Unrecht habe verge&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen; denn wenn<lb/>
er auch mit &#x017F;einem Tode als Ko&#x0364;nig abge&#x017F;etzt<lb/>
und in den Wirbel der anderen We&#x017F;en geri&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wurde, &#x017F;o ho&#x0364;rte er darum nicht auf, Philipp der<lb/>
Zweite zu &#x017F;ein, vielmehr, wenn er es je gewe&#x017F;en<lb/>
i&#x017F;t, wird er es ewig bleiben. Dadurch aber, daß<lb/>
nur die vom Unrecht Betroffenen unmittelbar<lb/>
verzeihen, was man &#x017F;o verzeihen nennt, bleibt<lb/>
zuletzt doch kein Haß u&#x0364;brig, als derjenige gegen<lb/>
das Bo&#x0364;&#x017F;e, das man in &#x017F;ich &#x017F;elber hat; denn das<lb/>
Nichtverzeihen der Uebrigen i&#x017F;t wieder etwas<lb/>
Anderes.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t merkwu&#x0364;rdig, daß die Men&#x017F;chen immer<lb/>
nur große Dummheiten, die &#x017F;ie begangen, glauben<lb/>
nicht verge&#x017F;&#x017F;en zu ko&#x0364;nnen, &#x017F;ich bei deren Erin¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0128] der Zweite verbrennen ließ, haben ihm gewiß laͤngſt verziehen und betrachten ihn wie einen anderen Mann, der gefehlt hat, waͤhrend die Millionen Proteſtanten, welche leben, ihm immer noch nicht verzeihen koͤnnen, weil die Wirkungen ſeiner That noch taͤglich vor unſer Aller Augen ſind, und, ihn ſelbſt betreffend, iſt es gar nicht denkbar, daß er ſein weltgeſchicht¬ liches Unrecht habe vergeſſen koͤnnen; denn wenn er auch mit ſeinem Tode als Koͤnig abgeſetzt und in den Wirbel der anderen Weſen geriſſen wurde, ſo hoͤrte er darum nicht auf, Philipp der Zweite zu ſein, vielmehr, wenn er es je geweſen iſt, wird er es ewig bleiben. Dadurch aber, daß nur die vom Unrecht Betroffenen unmittelbar verzeihen, was man ſo verzeihen nennt, bleibt zuletzt doch kein Haß uͤbrig, als derjenige gegen das Boͤſe, das man in ſich ſelber hat; denn das Nichtverzeihen der Uebrigen iſt wieder etwas Anderes. Es iſt merkwuͤrdig, daß die Menſchen immer nur große Dummheiten, die ſie begangen, glauben nicht vergeſſen zu koͤnnen, ſich bei deren Erin¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/128
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/128>, abgerufen am 21.11.2024.