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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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handeln und auch seine Handlungen ganz in die¬
sem Sinne durchgeführt, so daß er sich unter der
ganzen Lehrerschaft ein großes Ansehen erwarb,
als ein Besieger des Vorurtheils, während das
Mädchen durch seine unerwartete und rücksichtslose
Leidenschaft, für die es auf der ganzen Welt keine
Richtschnur mehr gab, als der Wille des Gelieb¬
ten, weit herum ein wunderliches Aufsehen er¬
regte.

So war in kurzer Zeit die Gestalt des oheim¬
lichen Hauses verändert und durch die verschiede¬
nen Vorgänge Alles älter und ernster geworden.
Von der traurigen Schaubühne ihres Kranken¬
bettes sah die arme Anna alle diese Veränderun¬
gen, aber schon mehr als äußerlich getrennt von
den Ereignissen. Sie hatte eine geraume Zeit
im gleichen Zustande verharrt und Alle hofften,
daß sie am Ende wieder aufleben würde. Aber
da man es am wenigsten dachte, erschien eines
Morgens im Herbste der Schulmeister schwarz ge¬
kleidet bei dem Oheim, welcher selbst noch schwarz
ging, und verkündete ihren Tod.

In einem Augenblicke war nicht nur das Haus

handeln und auch ſeine Handlungen ganz in die¬
ſem Sinne durchgefuͤhrt, ſo daß er ſich unter der
ganzen Lehrerſchaft ein großes Anſehen erwarb,
als ein Beſieger des Vorurtheils, waͤhrend das
Maͤdchen durch ſeine unerwartete und ruͤckſichtsloſe
Leidenſchaft, fuͤr die es auf der ganzen Welt keine
Richtſchnur mehr gab, als der Wille des Gelieb¬
ten, weit herum ein wunderliches Aufſehen er¬
regte.

So war in kurzer Zeit die Geſtalt des oheim¬
lichen Hauſes veraͤndert und durch die verſchiede¬
nen Vorgaͤnge Alles aͤlter und ernſter geworden.
Von der traurigen Schaubuͤhne ihres Kranken¬
bettes ſah die arme Anna alle dieſe Veraͤnderun¬
gen, aber ſchon mehr als aͤußerlich getrennt von
den Ereigniſſen. Sie hatte eine geraume Zeit
im gleichen Zuſtande verharrt und Alle hofften,
daß ſie am Ende wieder aufleben wuͤrde. Aber
da man es am wenigſten dachte, erſchien eines
Morgens im Herbſte der Schulmeiſter ſchwarz ge¬
kleidet bei dem Oheim, welcher ſelbſt noch ſchwarz
ging, und verkuͤndete ihren Tod.

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[138/0148] handeln und auch ſeine Handlungen ganz in die¬ ſem Sinne durchgefuͤhrt, ſo daß er ſich unter der ganzen Lehrerſchaft ein großes Anſehen erwarb, als ein Beſieger des Vorurtheils, waͤhrend das Maͤdchen durch ſeine unerwartete und ruͤckſichtsloſe Leidenſchaft, fuͤr die es auf der ganzen Welt keine Richtſchnur mehr gab, als der Wille des Gelieb¬ ten, weit herum ein wunderliches Aufſehen er¬ regte. So war in kurzer Zeit die Geſtalt des oheim¬ lichen Hauſes veraͤndert und durch die verſchiede¬ nen Vorgaͤnge Alles aͤlter und ernſter geworden. Von der traurigen Schaubuͤhne ihres Kranken¬ bettes ſah die arme Anna alle dieſe Veraͤnderun¬ gen, aber ſchon mehr als aͤußerlich getrennt von den Ereigniſſen. Sie hatte eine geraume Zeit im gleichen Zuſtande verharrt und Alle hofften, daß ſie am Ende wieder aufleben wuͤrde. Aber da man es am wenigſten dachte, erſchien eines Morgens im Herbſte der Schulmeiſter ſchwarz ge¬ kleidet bei dem Oheim, welcher ſelbſt noch ſchwarz ging, und verkuͤndete ihren Tod. In einem Augenblicke war nicht nur das Haus

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/148>, abgerufen am 24.11.2024.