die Leiche schon geschmückt und in Anna's Käm¬ merchen gelegt. Da lag sie, nach des Schulmei¬ sters Willen, auf dem schönen Blumenteppich, den sie einst für ihren Vater gestickt und man jetzt über ihr schmales Bettchen gebreitet hatte; denn nach solchem Dienste gedachte der gute Mann diese Decke immer zunächst um sich zu haben, so lange er noch lebte. Ueber ihr an der Wand hatte Katherine, deren Haar nun schon ganz er¬ graut war und die auf's Heftigste und Zärtlichste lamentirte, das Bild hingehängt, das ich einst von Anna gemacht, und gegenüber sah man immer noch die Landschaft mit der Heidenstube, welche ich vor Jahren auf die weiße Mauer gemalt. Die beiden Flügelthüren von Anna's Schrank standen geöffnet und ihr unschuldiges Eigenthum trat zu Tage und verlieh der stillen Todtenkam¬ mer einen wohlthuenden Schein von Leben. Auch gesellte sich der Schulmeister zu den beiden Frauen, die vor dem Schranke sich aufhielten, und half ihnen, die zierlichsten und erinnerungsreichsten Sächelchen, deren die Selige von früher Kindheit an gesammelt, hervorziehen und beschauen. Dies
die Leiche ſchon geſchmuͤckt und in Anna's Kaͤm¬ merchen gelegt. Da lag ſie, nach des Schulmei¬ ſters Willen, auf dem ſchoͤnen Blumenteppich, den ſie einſt fuͤr ihren Vater geſtickt und man jetzt uͤber ihr ſchmales Bettchen gebreitet hatte; denn nach ſolchem Dienſte gedachte der gute Mann dieſe Decke immer zunaͤchſt um ſich zu haben, ſo lange er noch lebte. Ueber ihr an der Wand hatte Katherine, deren Haar nun ſchon ganz er¬ graut war und die auf's Heftigſte und Zaͤrtlichſte lamentirte, das Bild hingehaͤngt, das ich einſt von Anna gemacht, und gegenuͤber ſah man immer noch die Landſchaft mit der Heidenſtube, welche ich vor Jahren auf die weiße Mauer gemalt. Die beiden Fluͤgelthuͤren von Anna's Schrank ſtanden geoͤffnet und ihr unſchuldiges Eigenthum trat zu Tage und verlieh der ſtillen Todtenkam¬ mer einen wohlthuenden Schein von Leben. Auch geſellte ſich der Schulmeiſter zu den beiden Frauen, die vor dem Schranke ſich aufhielten, und half ihnen, die zierlichſten und erinnerungsreichſten Saͤchelchen, deren die Selige von fruͤher Kindheit an geſammelt, hervorziehen und beſchauen. Dies
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die Leiche ſchon geſchmuͤckt und in Anna's Kaͤm¬
merchen gelegt. Da lag ſie, nach des Schulmei¬
ſters Willen, auf dem ſchoͤnen Blumenteppich,
den ſie einſt fuͤr ihren Vater geſtickt und man
jetzt uͤber ihr ſchmales Bettchen gebreitet hatte;
denn nach ſolchem Dienſte gedachte der gute Mann
dieſe Decke immer zunaͤchſt um ſich zu haben, ſo
lange er noch lebte. Ueber ihr an der Wand
hatte Katherine, deren Haar nun ſchon ganz er¬
graut war und die auf's Heftigſte und Zaͤrtlichſte
lamentirte, das Bild hingehaͤngt, das ich einſt
von Anna gemacht, und gegenuͤber ſah man immer
noch die Landſchaft mit der Heidenſtube, welche
ich vor Jahren auf die weiße Mauer gemalt.
Die beiden Fluͤgelthuͤren von Anna's Schrank
ſtanden geoͤffnet und ihr unſchuldiges Eigenthum
trat zu Tage und verlieh der ſtillen Todtenkam¬
mer einen wohlthuenden Schein von Leben. Auch
geſellte ſich der Schulmeiſter zu den beiden Frauen,
die vor dem Schranke ſich aufhielten, und half
ihnen, die zierlichſten und erinnerungsreichſten
Saͤchelchen, deren die Selige von fruͤher Kindheit
an geſammelt, hervorziehen und beſchauen. Dies
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/151>, abgerufen am 21.11.2024.
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