Verstorbene zuzugestehen, als man verabredete, daß fortwährend Jemand bei der Todten weilen und ich die erste Wache halten sollte, damit die Uebrigen sich in ihrer Erschöpfung einstweilen zu¬ rückziehen und etwas erholen konnten. Ohne jene Voraussetzung hätten sie mir eine solche zugleich zarte und ernste Zumuthung wohl nicht gestellt.
Ich blieb aber nicht lange allein mit der Anna, da bald die Basen aus dem Dorfe kamen und nach ihnen viele andere Mädchen und Frauen, denen ein so rührendes Ereigniß und eine so be¬ rühmte Leiche wichtig genug waren, die drän¬ gendste Arbeit liegen zu lassen und dem ehrfurchts¬ vollen Dienste des Menschengeschickes, des Todes, nachzugehen. Die Kammer füllte sich mit Frauens¬ leuten, welche erst einer feierlich flüsternden Un¬ terhaltung pflagen, dann aber in ein ziemliches Geplauder geriethen. Sie standen dicht gedrängt um die stille Anna herum, die Jungen mit ehr¬ bar aufeinander gelegten Händen, die Aeltern mit untergeschlagenen Armen. Die Kammerthür stand geöffnet für die Ab- und Zugehenden und ich nahm die Gelegenheit wahr, mich hinaus zu
Verſtorbene zuzugeſtehen, als man verabredete, daß fortwaͤhrend Jemand bei der Todten weilen und ich die erſte Wache halten ſollte, damit die Uebrigen ſich in ihrer Erſchoͤpfung einſtweilen zu¬ ruͤckziehen und etwas erholen konnten. Ohne jene Vorausſetzung haͤtten ſie mir eine ſolche zugleich zarte und ernſte Zumuthung wohl nicht geſtellt.
Ich blieb aber nicht lange allein mit der Anna, da bald die Baſen aus dem Dorfe kamen und nach ihnen viele andere Maͤdchen und Frauen, denen ein ſo ruͤhrendes Ereigniß und eine ſo be¬ ruͤhmte Leiche wichtig genug waren, die draͤn¬ gendſte Arbeit liegen zu laſſen und dem ehrfurchts¬ vollen Dienſte des Menſchengeſchickes, des Todes, nachzugehen. Die Kammer fuͤllte ſich mit Frauens¬ leuten, welche erſt einer feierlich fluͤſternden Un¬ terhaltung pflagen, dann aber in ein ziemliches Geplauder geriethen. Sie ſtanden dicht gedraͤngt um die ſtille Anna herum, die Jungen mit ehr¬ bar aufeinander gelegten Haͤnden, die Aeltern mit untergeſchlagenen Armen. Die Kammerthuͤr ſtand geoͤffnet fuͤr die Ab- und Zugehenden und ich nahm die Gelegenheit wahr, mich hinaus zu
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Verſtorbene zuzugeſtehen, als man verabredete,
daß fortwaͤhrend Jemand bei der Todten weilen
und ich die erſte Wache halten ſollte, damit die
Uebrigen ſich in ihrer Erſchoͤpfung einſtweilen zu¬
ruͤckziehen und etwas erholen konnten. Ohne jene
Vorausſetzung haͤtten ſie mir eine ſolche zugleich
zarte und ernſte Zumuthung wohl nicht geſtellt.
Ich blieb aber nicht lange allein mit der Anna,
da bald die Baſen aus dem Dorfe kamen und
nach ihnen viele andere Maͤdchen und Frauen,
denen ein ſo ruͤhrendes Ereigniß und eine ſo be¬
ruͤhmte Leiche wichtig genug waren, die draͤn¬
gendſte Arbeit liegen zu laſſen und dem ehrfurchts¬
vollen Dienſte des Menſchengeſchickes, des Todes,
nachzugehen. Die Kammer fuͤllte ſich mit Frauens¬
leuten, welche erſt einer feierlich fluͤſternden Un¬
terhaltung pflagen, dann aber in ein ziemliches
Geplauder geriethen. Sie ſtanden dicht gedraͤngt
um die ſtille Anna herum, die Jungen mit ehr¬
bar aufeinander gelegten Haͤnden, die Aeltern
mit untergeſchlagenen Armen. Die Kammerthuͤr
ſtand geoͤffnet fuͤr die Ab- und Zugehenden und
ich nahm die Gelegenheit wahr, mich hinaus zu
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/154>, abgerufen am 21.11.2024.
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