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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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sie zum letzten Bett in den Sarg; dann schlossen
wir ihn zu, trugen ihn in den Kahn und schiff¬
ten mit dem weithin scheinenden weißen Geräth
über den glänzenden stillen See, und die Frauen
mit dem Schulmeister brachen in lautes Weinen
aus, als sie uns heranfahren und landen sahen.

Am folgenden Tage wurde die Aermste in
den Sarg gelegt, von allen Blumen umgeben,
welche in Haus und Garten augenblicklich blü¬
heten; aber auf die Wölbung des Sarges wurde
ein schwerer Kranz von Myrthenzweigen und wei¬
ßen Rosen gelegt, welchen die Jungfrauen aus
der Kirchgemeinde brachten, und außerdem noch so
viele einzelne Sträuße weißer duftender Blüthen
aller Art, daß die ganze Oberfläche davon bedeckt
wurde und nur die Glasscheibe frei blieb, durch
welche man das weiße zarte Gesicht der Leiche sah.

Das Begräbniß sollte vom Hause des Oheims
aus stattfinden, und zu diesem Ende hin mußte
Anna erst über den Berg getragen werden. Es
erschienen daher eine Anzahl Jünglinge aus dem
Dorfe, welche die Bahre abwechselnd auf ihre
Schultern nahmen, und unser kleines Gefolge der

ſie zum letzten Bett in den Sarg; dann ſchloſſen
wir ihn zu, trugen ihn in den Kahn und ſchiff¬
ten mit dem weithin ſcheinenden weißen Geraͤth
uͤber den glaͤnzenden ſtillen See, und die Frauen
mit dem Schulmeiſter brachen in lautes Weinen
aus, als ſie uns heranfahren und landen ſahen.

Am folgenden Tage wurde die Aermſte in
den Sarg gelegt, von allen Blumen umgeben,
welche in Haus und Garten augenblicklich bluͤ¬
heten; aber auf die Woͤlbung des Sarges wurde
ein ſchwerer Kranz von Myrthenzweigen und wei¬
ßen Roſen gelegt, welchen die Jungfrauen aus
der Kirchgemeinde brachten, und außerdem noch ſo
viele einzelne Straͤuße weißer duftender Bluͤthen
aller Art, daß die ganze Oberflaͤche davon bedeckt
wurde und nur die Glasſcheibe frei blieb, durch
welche man das weiße zarte Geſicht der Leiche ſah.

Das Begraͤbniß ſollte vom Hauſe des Oheims
aus ſtattfinden, und zu dieſem Ende hin mußte
Anna erſt uͤber den Berg getragen werden. Es
erſchienen daher eine Anzahl Juͤnglinge aus dem
Dorfe, welche die Bahre abwechſelnd auf ihre
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[154/0164] ſie zum letzten Bett in den Sarg; dann ſchloſſen wir ihn zu, trugen ihn in den Kahn und ſchiff¬ ten mit dem weithin ſcheinenden weißen Geraͤth uͤber den glaͤnzenden ſtillen See, und die Frauen mit dem Schulmeiſter brachen in lautes Weinen aus, als ſie uns heranfahren und landen ſahen. Am folgenden Tage wurde die Aermſte in den Sarg gelegt, von allen Blumen umgeben, welche in Haus und Garten augenblicklich bluͤ¬ heten; aber auf die Woͤlbung des Sarges wurde ein ſchwerer Kranz von Myrthenzweigen und wei¬ ßen Roſen gelegt, welchen die Jungfrauen aus der Kirchgemeinde brachten, und außerdem noch ſo viele einzelne Straͤuße weißer duftender Bluͤthen aller Art, daß die ganze Oberflaͤche davon bedeckt wurde und nur die Glasſcheibe frei blieb, durch welche man das weiße zarte Geſicht der Leiche ſah. Das Begraͤbniß ſollte vom Hauſe des Oheims aus ſtattfinden, und zu dieſem Ende hin mußte Anna erſt uͤber den Berg getragen werden. Es erſchienen daher eine Anzahl Juͤnglinge aus dem Dorfe, welche die Bahre abwechſelnd auf ihre Schultern nahmen, und unſer kleines Gefolge der

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/164>, abgerufen am 21.11.2024.