Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

tasie schwebte. Wenn ich die Scheibe bewegte,
so verschwanden die Engel auf Augenblicke, bis
ich sie plötzlich mit einer anderen Wendung wie¬
der entdeckte. Ich habe seither erfahren, daß
Kupferstiche oder Zeichnungen, welche lange, lange
Jahre hinter einem Glase ungestört liegen, wäh¬
rend der dunklen Nächte dieser Jahre sich dem
Glase mittheilen und gleichsam ihr dauerndes
Spiegelbild in demselben zurücklassen. Ich ahnte
jetzt auch etwas dergleichen, als ich die fromme
Schraffirung altdeutscher Kupferstecherei und in
dem Bilde die Art Van Eyck'scher Engel entdeckte.
Eine Schrift war nicht zu sehen und also das
Blatt vielleicht ein seltener Probedruck gewesen,
der in diese Thäler auf ebenso wunderbare Weise
gekommen, als er wieder verschwunden war.
Jetzt aber war mir die kostbare Scheibe die schönste
Gabe, welche ich in den Sarg legen konnte, und
ich befestigte sie selbst an dem Deckel, ohne Je¬
mandem etwas von dem Geheimniß zu sagen.
Der Deutsche kam wieder herbei; wir suchten die
feinsten Hobelspäne, unter welche sich manches
gefallene Laub mischte, zusammen, und breiteten

taſie ſchwebte. Wenn ich die Scheibe bewegte,
ſo verſchwanden die Engel auf Augenblicke, bis
ich ſie ploͤtzlich mit einer anderen Wendung wie¬
der entdeckte. Ich habe ſeither erfahren, daß
Kupferſtiche oder Zeichnungen, welche lange, lange
Jahre hinter einem Glaſe ungeſtoͤrt liegen, waͤh¬
rend der dunklen Naͤchte dieſer Jahre ſich dem
Glaſe mittheilen und gleichſam ihr dauerndes
Spiegelbild in demſelben zuruͤcklaſſen. Ich ahnte
jetzt auch etwas dergleichen, als ich die fromme
Schraffirung altdeutſcher Kupferſtecherei und in
dem Bilde die Art Van Eyck'ſcher Engel entdeckte.
Eine Schrift war nicht zu ſehen und alſo das
Blatt vielleicht ein ſeltener Probedruck geweſen,
der in dieſe Thaͤler auf ebenſo wunderbare Weiſe
gekommen, als er wieder verſchwunden war.
Jetzt aber war mir die koſtbare Scheibe die ſchoͤnſte
Gabe, welche ich in den Sarg legen konnte, und
ich befeſtigte ſie ſelbſt an dem Deckel, ohne Je¬
mandem etwas von dem Geheimniß zu ſagen.
Der Deutſche kam wieder herbei; wir ſuchten die
feinſten Hobelſpaͤne, unter welche ſich manches
gefallene Laub miſchte, zuſammen, und breiteten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0163" n="153"/>
ta&#x017F;ie &#x017F;chwebte. Wenn ich die Scheibe bewegte,<lb/>
&#x017F;o ver&#x017F;chwanden die Engel auf Augenblicke, bis<lb/>
ich &#x017F;ie plo&#x0364;tzlich mit einer anderen Wendung wie¬<lb/>
der entdeckte. Ich habe &#x017F;either erfahren, daß<lb/>
Kupfer&#x017F;tiche oder Zeichnungen, welche lange, lange<lb/>
Jahre hinter einem Gla&#x017F;e unge&#x017F;to&#x0364;rt liegen, wa&#x0364;<lb/>
rend der dunklen Na&#x0364;chte die&#x017F;er Jahre &#x017F;ich dem<lb/>
Gla&#x017F;e mittheilen und gleich&#x017F;am ihr dauerndes<lb/>
Spiegelbild in dem&#x017F;elben zuru&#x0364;ckla&#x017F;&#x017F;en. Ich ahnte<lb/>
jetzt auch etwas dergleichen, als ich die fromme<lb/>
Schraffirung altdeut&#x017F;cher Kupfer&#x017F;techerei und in<lb/>
dem Bilde die Art Van Eyck'&#x017F;cher Engel entdeckte.<lb/>
Eine Schrift war nicht zu &#x017F;ehen und al&#x017F;o das<lb/>
Blatt vielleicht ein &#x017F;eltener Probedruck gewe&#x017F;en,<lb/>
der in die&#x017F;e Tha&#x0364;ler auf eben&#x017F;o wunderbare Wei&#x017F;e<lb/>
gekommen, als er wieder ver&#x017F;chwunden war.<lb/>
Jetzt aber war mir die ko&#x017F;tbare Scheibe die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te<lb/>
Gabe, welche ich in den Sarg legen konnte, und<lb/>
ich befe&#x017F;tigte &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t an dem Deckel, ohne Je¬<lb/>
mandem etwas von dem Geheimniß zu &#x017F;agen.<lb/>
Der Deut&#x017F;che kam wieder herbei; wir &#x017F;uchten die<lb/>
fein&#x017F;ten Hobel&#x017F;pa&#x0364;ne, unter welche &#x017F;ich manches<lb/>
gefallene Laub mi&#x017F;chte, zu&#x017F;ammen, und breiteten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0163] taſie ſchwebte. Wenn ich die Scheibe bewegte, ſo verſchwanden die Engel auf Augenblicke, bis ich ſie ploͤtzlich mit einer anderen Wendung wie¬ der entdeckte. Ich habe ſeither erfahren, daß Kupferſtiche oder Zeichnungen, welche lange, lange Jahre hinter einem Glaſe ungeſtoͤrt liegen, waͤh¬ rend der dunklen Naͤchte dieſer Jahre ſich dem Glaſe mittheilen und gleichſam ihr dauerndes Spiegelbild in demſelben zuruͤcklaſſen. Ich ahnte jetzt auch etwas dergleichen, als ich die fromme Schraffirung altdeutſcher Kupferſtecherei und in dem Bilde die Art Van Eyck'ſcher Engel entdeckte. Eine Schrift war nicht zu ſehen und alſo das Blatt vielleicht ein ſeltener Probedruck geweſen, der in dieſe Thaͤler auf ebenſo wunderbare Weiſe gekommen, als er wieder verſchwunden war. Jetzt aber war mir die koſtbare Scheibe die ſchoͤnſte Gabe, welche ich in den Sarg legen konnte, und ich befeſtigte ſie ſelbſt an dem Deckel, ohne Je¬ mandem etwas von dem Geheimniß zu ſagen. Der Deutſche kam wieder herbei; wir ſuchten die feinſten Hobelſpaͤne, unter welche ſich manches gefallene Laub miſchte, zuſammen, und breiteten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/163
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/163>, abgerufen am 21.11.2024.