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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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die Todtenglocke zum ersten Mal; Kinder beglei¬
teten uns in Schaaren bis zum Hause, wo man
den Sarg unter die Nußbäume vor die Thür
hinstellte. Wehmüthig gewährten die Verwandten
der Todten das Gastrecht bei dieser letzten Ein¬
kehr; es waren nun kaum anderthalb Jahre ver¬
gangen, seit jener fröhliche Festzug der Hirten
sich unter diesen selben Bäumen bewegte und
mit bewundernder Lust Anna's damalige Erschei¬
nung begrüßte. Bald war der Platz voll Men¬
schen, welche sich herandrängten, um der Seligen
zum letzten Mal in's Angesicht zu schauen.

Nun ging der Leichenzug vor sich, welcher
außerordentlich groß war; der Schulmeister, wel¬
cher dicht hinter dem Sarge ging, schluchzte fort¬
während wie ein Kind. Ich bereute jetzt, keinen
schwarzen ehrbaren Anzug zu besitzen, denn ich
ging unter meinen schwarz gekleideten Vettern in
meinem grünen Habit, wie ein fremder Heide.
Die Kirche war ganz mit Leuten angefüllt, ob¬
gleich es im Felde viel zu thun gab. Nachdem
die Gemeinde den gewohnten Gottesdienst be¬
endigt und mit einem Choral beschlossen, schaarte

die Todtenglocke zum erſten Mal; Kinder beglei¬
teten uns in Schaaren bis zum Hauſe, wo man
den Sarg unter die Nußbaͤume vor die Thuͤr
hinſtellte. Wehmuͤthig gewaͤhrten die Verwandten
der Todten das Gaſtrecht bei dieſer letzten Ein¬
kehr; es waren nun kaum anderthalb Jahre ver¬
gangen, ſeit jener froͤhliche Feſtzug der Hirten
ſich unter dieſen ſelben Baͤumen bewegte und
mit bewundernder Luſt Anna's damalige Erſchei¬
nung begruͤßte. Bald war der Platz voll Men¬
ſchen, welche ſich herandraͤngten, um der Seligen
zum letzten Mal in's Angeſicht zu ſchauen.

Nun ging der Leichenzug vor ſich, welcher
außerordentlich groß war; der Schulmeiſter, wel¬
cher dicht hinter dem Sarge ging, ſchluchzte fort¬
waͤhrend wie ein Kind. Ich bereute jetzt, keinen
ſchwarzen ehrbaren Anzug zu beſitzen, denn ich
ging unter meinen ſchwarz gekleideten Vettern in
meinem gruͤnen Habit, wie ein fremder Heide.
Die Kirche war ganz mit Leuten angefuͤllt, ob¬
gleich es im Felde viel zu thun gab. Nachdem
die Gemeinde den gewohnten Gottesdienſt be¬
endigt und mit einem Choral beſchloſſen, ſchaarte

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[156/0166] die Todtenglocke zum erſten Mal; Kinder beglei¬ teten uns in Schaaren bis zum Hauſe, wo man den Sarg unter die Nußbaͤume vor die Thuͤr hinſtellte. Wehmuͤthig gewaͤhrten die Verwandten der Todten das Gaſtrecht bei dieſer letzten Ein¬ kehr; es waren nun kaum anderthalb Jahre ver¬ gangen, ſeit jener froͤhliche Feſtzug der Hirten ſich unter dieſen ſelben Baͤumen bewegte und mit bewundernder Luſt Anna's damalige Erſchei¬ nung begruͤßte. Bald war der Platz voll Men¬ ſchen, welche ſich herandraͤngten, um der Seligen zum letzten Mal in's Angeſicht zu ſchauen. Nun ging der Leichenzug vor ſich, welcher außerordentlich groß war; der Schulmeiſter, wel¬ cher dicht hinter dem Sarge ging, ſchluchzte fort¬ waͤhrend wie ein Kind. Ich bereute jetzt, keinen ſchwarzen ehrbaren Anzug zu beſitzen, denn ich ging unter meinen ſchwarz gekleideten Vettern in meinem gruͤnen Habit, wie ein fremder Heide. Die Kirche war ganz mit Leuten angefuͤllt, ob¬ gleich es im Felde viel zu thun gab. Nachdem die Gemeinde den gewohnten Gottesdienſt be¬ endigt und mit einem Choral beſchloſſen, ſchaarte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/166>, abgerufen am 21.11.2024.