Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

unter den vielen jungen Leuten angenommen hatte,
so verkündete dagegen sein selbstvergessenes und
wie im Traume blitzendes Auge, daß er nicht
mehr der durch Einsamkeit frühreife und unbe¬
fangene Beobachter seiner selbst und der Welt
war, wie er sich in seiner Jugendgeschichte gezeigt,
sondern daß er von der Gewalt einer großen Na¬
tionalkultur, wie diese an solchem Punkte und zu
dieser Zeit gerade bestand, gut oder schlecht, in
ihre Kreise gezogen worden. Er schwamm tapfer
mit in dieser Strömung und hielt Vieles, was
oft nur Liebhaberei und Ziererei ist, für dauernd
und wohnlich, dem man sich eifrig hingeben müsse.
Denn wenn man von einer ganzen Menge, die
eine eigene technische Sprache dafür hat, irgend
eine Sache ernsthaft und fertig betreiben sieht,
so hält man sich leicht für geborgen, wenn man
dieselbe nur mitspielen kann und darf.

Da ihn aber dennoch irgend ein Gefühl ahnen
ließ, daß auch diese Zeit mit ihren Anregungen
vorübergehen werde, so gab er sich nur mit einem
bittersüßen Widerstreben hin, von dem er nicht
wußte, woher es kam. Heinrich war ausgezogen,

unter den vielen jungen Leuten angenommen hatte,
ſo verkuͤndete dagegen ſein ſelbſtvergeſſenes und
wie im Traume blitzendes Auge, daß er nicht
mehr der durch Einſamkeit fruͤhreife und unbe¬
fangene Beobachter ſeiner ſelbſt und der Welt
war, wie er ſich in ſeiner Jugendgeſchichte gezeigt,
ſondern daß er von der Gewalt einer großen Na¬
tionalkultur, wie dieſe an ſolchem Punkte und zu
dieſer Zeit gerade beſtand, gut oder ſchlecht, in
ihre Kreiſe gezogen worden. Er ſchwamm tapfer
mit in dieſer Stroͤmung und hielt Vieles, was
oft nur Liebhaberei und Ziererei iſt, fuͤr dauernd
und wohnlich, dem man ſich eifrig hingeben muͤſſe.
Denn wenn man von einer ganzen Menge, die
eine eigene techniſche Sprache dafuͤr hat, irgend
eine Sache ernſthaft und fertig betreiben ſieht,
ſo haͤlt man ſich leicht fuͤr geborgen, wenn man
dieſelbe nur mitſpielen kann und darf.

Da ihn aber dennoch irgend ein Gefuͤhl ahnen
ließ, daß auch dieſe Zeit mit ihren Anregungen
voruͤbergehen werde, ſo gab er ſich nur mit einem
bitterſuͤßen Widerſtreben hin, von dem er nicht
wußte, woher es kam. Heinrich war ausgezogen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0185" n="175"/>
unter den vielen jungen Leuten angenommen hatte,<lb/>
&#x017F;o verku&#x0364;ndete dagegen &#x017F;ein &#x017F;elb&#x017F;tverge&#x017F;&#x017F;enes und<lb/>
wie im Traume blitzendes Auge, daß er nicht<lb/>
mehr der durch Ein&#x017F;amkeit fru&#x0364;hreife und unbe¬<lb/>
fangene Beobachter &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t und der Welt<lb/>
war, wie er &#x017F;ich in &#x017F;einer Jugendge&#x017F;chichte gezeigt,<lb/>
&#x017F;ondern daß er von der Gewalt einer großen Na¬<lb/>
tionalkultur, wie die&#x017F;e an &#x017F;olchem Punkte und zu<lb/>
die&#x017F;er Zeit gerade be&#x017F;tand, gut oder &#x017F;chlecht, in<lb/>
ihre Krei&#x017F;e gezogen worden. Er &#x017F;chwamm tapfer<lb/>
mit in die&#x017F;er Stro&#x0364;mung und hielt Vieles, was<lb/>
oft nur Liebhaberei und Ziererei i&#x017F;t, fu&#x0364;r dauernd<lb/>
und wohnlich, dem man &#x017F;ich eifrig hingeben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Denn wenn man von einer ganzen Menge, die<lb/>
eine eigene techni&#x017F;che Sprache dafu&#x0364;r hat, irgend<lb/>
eine Sache ern&#x017F;thaft und fertig betreiben &#x017F;ieht,<lb/>
&#x017F;o ha&#x0364;lt man &#x017F;ich leicht fu&#x0364;r geborgen, wenn man<lb/>
die&#x017F;elbe nur mit&#x017F;pielen kann und darf.</p><lb/>
        <p>Da ihn aber dennoch irgend ein Gefu&#x0364;hl ahnen<lb/>
ließ, daß auch die&#x017F;e Zeit mit ihren Anregungen<lb/>
voru&#x0364;bergehen werde, &#x017F;o gab er &#x017F;ich nur mit einem<lb/>
bitter&#x017F;u&#x0364;ßen Wider&#x017F;treben hin, von dem er nicht<lb/>
wußte, woher es kam. Heinrich war ausgezogen,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0185] unter den vielen jungen Leuten angenommen hatte, ſo verkuͤndete dagegen ſein ſelbſtvergeſſenes und wie im Traume blitzendes Auge, daß er nicht mehr der durch Einſamkeit fruͤhreife und unbe¬ fangene Beobachter ſeiner ſelbſt und der Welt war, wie er ſich in ſeiner Jugendgeſchichte gezeigt, ſondern daß er von der Gewalt einer großen Na¬ tionalkultur, wie dieſe an ſolchem Punkte und zu dieſer Zeit gerade beſtand, gut oder ſchlecht, in ihre Kreiſe gezogen worden. Er ſchwamm tapfer mit in dieſer Stroͤmung und hielt Vieles, was oft nur Liebhaberei und Ziererei iſt, fuͤr dauernd und wohnlich, dem man ſich eifrig hingeben muͤſſe. Denn wenn man von einer ganzen Menge, die eine eigene techniſche Sprache dafuͤr hat, irgend eine Sache ernſthaft und fertig betreiben ſieht, ſo haͤlt man ſich leicht fuͤr geborgen, wenn man dieſelbe nur mitſpielen kann und darf. Da ihn aber dennoch irgend ein Gefuͤhl ahnen ließ, daß auch dieſe Zeit mit ihren Anregungen voruͤbergehen werde, ſo gab er ſich nur mit einem bitterſuͤßen Widerſtreben hin, von dem er nicht wußte, woher es kam. Heinrich war ausgezogen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/185
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/185>, abgerufen am 18.12.2024.