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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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sind wohl Etwas, aber wir sehen wunderlicher
Weise nicht wie Etwas aus, wir sind bloßes
Uebergangsgeschiebe. Wir achten die alte Staats-
und religiöse Geschichte nicht mehr und haben
noch keine neue hinter uns, die zu malen wäre,
das Gesicht Napoleon's etwas ausgenommen; wir
haben das Paradies der Unschuld, in welchem
Jene noch Alles malen konnten, was ihnen unter
die Hände kam, verloren und leben nur in einem
Fegefeuer. Wenigstens war es bei ihm wirklich
der Fall. Lys gähnte schon, wenn er von Wei¬
tem ein historisches, allegorisches oder biblisches
Bild sah, war es auch von noch so gebildeten
und talentvollen Leuten gemacht, und rief: "Der
Teufel soll den holen, welcher behauptet, ergrif¬
fen zu sein von dieser Versammlung von Bärten
und Nichtbärten, welche die Arme ausrecken und
gestikuliren!" Von dem Anlehnen des Malers an
die Dichtung oder gar an die Geschichte der Dich¬
tung wollte er jetzt auch nichts mehr wissen; denn
seine Kunst sollte nicht die Bettlerin bei einer
anderen sein. Alle diese Widersprüche zu über¬
winden und ihnen zum Trotz das darzustellen,

ſind wohl Etwas, aber wir ſehen wunderlicher
Weiſe nicht wie Etwas aus, wir ſind bloßes
Uebergangsgeſchiebe. Wir achten die alte Staats-
und religioͤſe Geſchichte nicht mehr und haben
noch keine neue hinter uns, die zu malen waͤre,
das Geſicht Napoleon's etwas ausgenommen; wir
haben das Paradies der Unſchuld, in welchem
Jene noch Alles malen konnten, was ihnen unter
die Haͤnde kam, verloren und leben nur in einem
Fegefeuer. Wenigſtens war es bei ihm wirklich
der Fall. Lys gaͤhnte ſchon, wenn er von Wei¬
tem ein hiſtoriſches, allegoriſches oder bibliſches
Bild ſah, war es auch von noch ſo gebildeten
und talentvollen Leuten gemacht, und rief: »Der
Teufel ſoll den holen, welcher behauptet, ergrif¬
fen zu ſein von dieſer Verſammlung von Baͤrten
und Nichtbaͤrten, welche die Arme ausrecken und
geſtikuliren!« Von dem Anlehnen des Malers an
die Dichtung oder gar an die Geſchichte der Dich¬
tung wollte er jetzt auch nichts mehr wiſſen; denn
ſeine Kunſt ſollte nicht die Bettlerin bei einer
anderen ſein. Alle dieſe Widerſpruͤche zu uͤber¬
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[183/0193] ſind wohl Etwas, aber wir ſehen wunderlicher Weiſe nicht wie Etwas aus, wir ſind bloßes Uebergangsgeſchiebe. Wir achten die alte Staats- und religioͤſe Geſchichte nicht mehr und haben noch keine neue hinter uns, die zu malen waͤre, das Geſicht Napoleon's etwas ausgenommen; wir haben das Paradies der Unſchuld, in welchem Jene noch Alles malen konnten, was ihnen unter die Haͤnde kam, verloren und leben nur in einem Fegefeuer. Wenigſtens war es bei ihm wirklich der Fall. Lys gaͤhnte ſchon, wenn er von Wei¬ tem ein hiſtoriſches, allegoriſches oder bibliſches Bild ſah, war es auch von noch ſo gebildeten und talentvollen Leuten gemacht, und rief: »Der Teufel ſoll den holen, welcher behauptet, ergrif¬ fen zu ſein von dieſer Verſammlung von Baͤrten und Nichtbaͤrten, welche die Arme ausrecken und geſtikuliren!« Von dem Anlehnen des Malers an die Dichtung oder gar an die Geſchichte der Dich¬ tung wollte er jetzt auch nichts mehr wiſſen; denn ſeine Kunſt ſollte nicht die Bettlerin bei einer anderen ſein. Alle dieſe Widerſpruͤche zu uͤber¬ winden und ihnen zum Trotz das darzuſtellen,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/193>, abgerufen am 21.11.2024.