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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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der nicht ganz seiner bewußt war, befand sich so
übel unter diesen Blicken, daß man eher versucht
war auszurufen: Weh' dem, der da steht vor
der Bank der Spötter! und sich gern in das
Bild hinein geflüchtet hätte.

Waren nun Absicht und Wirkung dieses Bil¬
des durchaus verneinender Natur, so war dagegen
die Ausführung mit der positivsten Lebensessenz
getränkt. Jeder Kopf zeigte eine inhaltvolle
eigenthümlichste Individualität und war für sich
eine ganze tragische Welt oder eine Komödie,
und nebst den schönen arbeitlosen Händen vor¬
trefflich beleuchtet und gemalt. Die gestickten
Kleider der wunderlichen Herren, der grüne
Sammet und der rothe Atlaß an der reichen
Tracht des Weibes, ihr blendender Nacken, die
Korallenschnur darum, ihre von Perlenschnüren
durchzogenen schwarzen Zöpfe und Locken, die
goldene sonnige Bildhauerarbeit an dem alten
Marmortische, die Gläser mit den aufschäumenden
Perlen, selbst der glänzende Sand des Bodens,
in welchen sich der reizende Fuß des Mädchens
drückte, diese zarten weißen Knöchel im rothseide¬

der nicht ganz ſeiner bewußt war, befand ſich ſo
uͤbel unter dieſen Blicken, daß man eher verſucht
war auszurufen: Weh' dem, der da ſteht vor
der Bank der Spoͤtter! und ſich gern in das
Bild hinein gefluͤchtet haͤtte.

Waren nun Abſicht und Wirkung dieſes Bil¬
des durchaus verneinender Natur, ſo war dagegen
die Ausfuͤhrung mit der poſitivſten Lebenseſſenz
getraͤnkt. Jeder Kopf zeigte eine inhaltvolle
eigenthuͤmlichſte Individualitaͤt und war fuͤr ſich
eine ganze tragiſche Welt oder eine Komoͤdie,
und nebſt den ſchoͤnen arbeitloſen Haͤnden vor¬
trefflich beleuchtet und gemalt. Die geſtickten
Kleider der wunderlichen Herren, der gruͤne
Sammet und der rothe Atlaß an der reichen
Tracht des Weibes, ihr blendender Nacken, die
Korallenſchnur darum, ihre von Perlenſchnuͤren
durchzogenen ſchwarzen Zoͤpfe und Locken, die
goldene ſonnige Bildhauerarbeit an dem alten
Marmortiſche, die Glaͤſer mit den aufſchaͤumenden
Perlen, ſelbſt der glaͤnzende Sand des Bodens,
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[190/0200] der nicht ganz ſeiner bewußt war, befand ſich ſo uͤbel unter dieſen Blicken, daß man eher verſucht war auszurufen: Weh' dem, der da ſteht vor der Bank der Spoͤtter! und ſich gern in das Bild hinein gefluͤchtet haͤtte. Waren nun Abſicht und Wirkung dieſes Bil¬ des durchaus verneinender Natur, ſo war dagegen die Ausfuͤhrung mit der poſitivſten Lebenseſſenz getraͤnkt. Jeder Kopf zeigte eine inhaltvolle eigenthuͤmlichſte Individualitaͤt und war fuͤr ſich eine ganze tragiſche Welt oder eine Komoͤdie, und nebſt den ſchoͤnen arbeitloſen Haͤnden vor¬ trefflich beleuchtet und gemalt. Die geſtickten Kleider der wunderlichen Herren, der gruͤne Sammet und der rothe Atlaß an der reichen Tracht des Weibes, ihr blendender Nacken, die Korallenſchnur darum, ihre von Perlenſchnuͤren durchzogenen ſchwarzen Zoͤpfe und Locken, die goldene ſonnige Bildhauerarbeit an dem alten Marmortiſche, die Glaͤſer mit den aufſchaͤumenden Perlen, ſelbſt der glaͤnzende Sand des Bodens, in welchen ſich der reizende Fuß des Maͤdchens druͤckte, dieſe zarten weißen Knoͤchel im rothſeide¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/200>, abgerufen am 21.11.2024.