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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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germanisches Wesen noch in ausgeprägter und
alter Feste lebte in Sitte, Sprachgebrauch und
persönlichem Unabhängigkeitssinne; alle Drei waren
von dem Sonderleben ihrer tüchtigen Heimath
abgefallen und zu dem großen Kern des beweg¬
lichen deutschen Lebens gestoßen, und alle Drei hat¬
ten dasselbe, erstaunt und erschreckt über dessen Art, in
der Nähe gesehen. Schon die Sprache, welche der
große Haufen in Deutschland führt, war ihnen
unverständlich und beklemmend; die tausend und
aber tausend "Entschuldigen Sie gefälligst, Er¬
lauben Sie gütigst, Wenn ich bitten darf, Bitt'
um Entschuldigung", welche die Luft durchschwirr¬
ten und bei den nichtssagendsten Anlässen unauf¬
hörlich verwendet wurden, hatten sie in ihrem
Leben nie und in keiner anderen Sprache gehört,
selbst das "Pardon Monsieur" der höflichen Fran¬
zosen schien ihnen zehnmal kürzer und stolzer, wie
es auch nur in dem zehnten Falle gebraucht wird,
wo der Deutsche jedesmal um Verzeihung bittet.
Aber durch den dünnen Flor dieser Höflichkeit
brachen nur zu oft die harten Ecken einer inneren
Grobheit und Taktlosigkeit, welche ebenfalls ihren

germaniſches Weſen noch in ausgepraͤgter und
alter Feſte lebte in Sitte, Sprachgebrauch und
perſoͤnlichem Unabhaͤngigkeitsſinne; alle Drei waren
von dem Sonderleben ihrer tuͤchtigen Heimath
abgefallen und zu dem großen Kern des beweg¬
lichen deutſchen Lebens geſtoßen, und alle Drei hat¬
ten daſſelbe, erſtaunt und erſchreckt uͤber deſſen Art, in
der Naͤhe geſehen. Schon die Sprache, welche der
große Haufen in Deutſchland fuͤhrt, war ihnen
unverſtaͤndlich und beklemmend; die tauſend und
aber tauſend »Entſchuldigen Sie gefaͤlligſt, Er¬
lauben Sie guͤtigſt, Wenn ich bitten darf, Bitt'
um Entſchuldigung«, welche die Luft durchſchwirr¬
ten und bei den nichtsſagendſten Anlaͤſſen unauf¬
hoͤrlich verwendet wurden, hatten ſie in ihrem
Leben nie und in keiner anderen Sprache gehoͤrt,
ſelbſt das »Pardon Monſieur« der hoͤflichen Fran¬
zoſen ſchien ihnen zehnmal kuͤrzer und ſtolzer, wie
es auch nur in dem zehnten Falle gebraucht wird,
wo der Deutſche jedesmal um Verzeihung bittet.
Aber durch den duͤnnen Flor dieſer Hoͤflichkeit
brachen nur zu oft die harten Ecken einer inneren
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[206/0216] germaniſches Weſen noch in ausgepraͤgter und alter Feſte lebte in Sitte, Sprachgebrauch und perſoͤnlichem Unabhaͤngigkeitsſinne; alle Drei waren von dem Sonderleben ihrer tuͤchtigen Heimath abgefallen und zu dem großen Kern des beweg¬ lichen deutſchen Lebens geſtoßen, und alle Drei hat¬ ten daſſelbe, erſtaunt und erſchreckt uͤber deſſen Art, in der Naͤhe geſehen. Schon die Sprache, welche der große Haufen in Deutſchland fuͤhrt, war ihnen unverſtaͤndlich und beklemmend; die tauſend und aber tauſend »Entſchuldigen Sie gefaͤlligſt, Er¬ lauben Sie guͤtigſt, Wenn ich bitten darf, Bitt' um Entſchuldigung«, welche die Luft durchſchwirr¬ ten und bei den nichtsſagendſten Anlaͤſſen unauf¬ hoͤrlich verwendet wurden, hatten ſie in ihrem Leben nie und in keiner anderen Sprache gehoͤrt, ſelbſt das »Pardon Monſieur« der hoͤflichen Fran¬ zoſen ſchien ihnen zehnmal kuͤrzer und ſtolzer, wie es auch nur in dem zehnten Falle gebraucht wird, wo der Deutſche jedesmal um Verzeihung bittet. Aber durch den duͤnnen Flor dieſer Hoͤflichkeit brachen nur zu oft die harten Ecken einer inneren Grobheit und Taktloſigkeit, welche ebenfalls ihren

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/216>, abgerufen am 24.11.2024.