ebenso auf ganz grundlosen Vorurtheilen zu be¬ ruhen als schädlich schien. Bei Völkerfamilien und Sprachgenossenschaften, welche zusammen ein Ganzes bilden sollen, ist es ein wahres Glück, wenn sie unter einander sich etwas aufzurücken und zu sticheln haben; denn wie durch alle Welt und Natur bindet auch da die Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit, und das Ungleiche und doch Verwandte hält besser zusammen; aber es muß Gemüth und Verstand in dem Scherzkampfe sein und dieser zutreffend auf das wahre Wesen der Gegensätze. Das, was die Nord- und Süddeut¬ schen sich vorwerfen, ist tödtlich beleidigend, in¬ dem diese jenen das Herz, jene aber diesen den Verstand absprechen, und zugleich kann es keine unbegründetere und unbegreiflichere Tradition und Meinung geben, die nur von wenigen der tüch¬ tigsten Männer beider Hälften nicht getheilt wird. Wo im Norden wahrer Geist ist, da ist immer und zuverlässig auch Gemüth, wo im Süden wahres Gemüth, da auch Geist. Es giebt in Norddeutschland Unwissende und Strohköpfe un¬ ter den Gebildeten und in Süddeutschland unter
ebenſo auf ganz grundloſen Vorurtheilen zu be¬ ruhen als ſchaͤdlich ſchien. Bei Voͤlkerfamilien und Sprachgenoſſenſchaften, welche zuſammen ein Ganzes bilden ſollen, iſt es ein wahres Gluͤck, wenn ſie unter einander ſich etwas aufzuruͤcken und zu ſticheln haben; denn wie durch alle Welt und Natur bindet auch da die Verſchiedenheit und Mannigfaltigkeit, und das Ungleiche und doch Verwandte haͤlt beſſer zuſammen; aber es muß Gemuͤth und Verſtand in dem Scherzkampfe ſein und dieſer zutreffend auf das wahre Weſen der Gegenſaͤtze. Das, was die Nord- und Suͤddeut¬ ſchen ſich vorwerfen, iſt toͤdtlich beleidigend, in¬ dem dieſe jenen das Herz, jene aber dieſen den Verſtand abſprechen, und zugleich kann es keine unbegruͤndetere und unbegreiflichere Tradition und Meinung geben, die nur von wenigen der tuͤch¬ tigſten Maͤnner beider Haͤlften nicht getheilt wird. Wo im Norden wahrer Geiſt iſt, da iſt immer und zuverlaͤſſig auch Gemuͤth, wo im Suͤden wahres Gemuͤth, da auch Geiſt. Es giebt in Norddeutſchland Unwiſſende und Strohkoͤpfe un¬ ter den Gebildeten und in Suͤddeutſchland unter
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ebenſo auf ganz grundloſen Vorurtheilen zu be¬
ruhen als ſchaͤdlich ſchien. Bei Voͤlkerfamilien
und Sprachgenoſſenſchaften, welche zuſammen ein
Ganzes bilden ſollen, iſt es ein wahres Gluͤck,
wenn ſie unter einander ſich etwas aufzuruͤcken
und zu ſticheln haben; denn wie durch alle Welt
und Natur bindet auch da die Verſchiedenheit und
Mannigfaltigkeit, und das Ungleiche und doch
Verwandte haͤlt beſſer zuſammen; aber es muß
Gemuͤth und Verſtand in dem Scherzkampfe ſein
und dieſer zutreffend auf das wahre Weſen der
Gegenſaͤtze. Das, was die Nord- und Suͤddeut¬
ſchen ſich vorwerfen, iſt toͤdtlich beleidigend, in¬
dem dieſe jenen das Herz, jene aber dieſen den
Verſtand abſprechen, und zugleich kann es keine
unbegruͤndetere und unbegreiflichere Tradition und
Meinung geben, die nur von wenigen der tuͤch¬
tigſten Maͤnner beider Haͤlften nicht getheilt wird.
Wo im Norden wahrer Geiſt iſt, da iſt immer
und zuverlaͤſſig auch Gemuͤth, wo im Suͤden
wahres Gemuͤth, da auch Geiſt. Es giebt in
Norddeutſchland Unwiſſende und Strohkoͤpfe un¬
ter den Gebildeten und in Suͤddeutſchland unter
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/218>, abgerufen am 24.11.2024.
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