getrauten bösen Ehehälfte geduldig unter die Erde zanken.
Wie anders jener römische Raphael, der, vom Anschauen des alten Marmors gesättigt, im Christ¬ lichen nur das Menschliche sah und sein kurzes blühendes Leben in freudebringendem gewaltigen Schaffen und freier Frauenliebe verzehrte. Albrecht war ein eifriger Reformationsmann, eben weil er ein tiefer Christ war; hätte Raphael die Refor¬ mation empfunden und mitgelebt, er würde viel¬ leicht nicht Raphael gewesen sein. Der Glückliche träumte in einer anderen Welt, und Papst wie Luther gingen wie Schatten an seinem Auge vor¬ über.
Albrecht Dürer schloß als der letzte die vor¬ überwandelnde Schaar der Bildner und Werk¬ leute. Sie war der bedeutsamste Theil des gan¬ zen Zuges gewesen, weil sie für Alle noch eine Wahrheit war. Wenn auch nicht als organisches, republikanisch bürgerliches Gemeinwesen erwachsen, wie jenes reichsstädtische, sondern durch das Wort eines zufälligen Fürsten zusammengerufen, gepflegt und bestärkt, hatten alle diese Männer und Jüng¬
getrauten boͤſen Ehehaͤlfte geduldig unter die Erde zanken.
Wie anders jener roͤmiſche Raphael, der, vom Anſchauen des alten Marmors geſaͤttigt, im Chriſt¬ lichen nur das Menſchliche ſah und ſein kurzes bluͤhendes Leben in freudebringendem gewaltigen Schaffen und freier Frauenliebe verzehrte. Albrecht war ein eifriger Reformationsmann, eben weil er ein tiefer Chriſt war; haͤtte Raphael die Refor¬ mation empfunden und mitgelebt, er wuͤrde viel¬ leicht nicht Raphael geweſen ſein. Der Gluͤckliche traͤumte in einer anderen Welt, und Papſt wie Luther gingen wie Schatten an ſeinem Auge vor¬ uͤber.
Albrecht Duͤrer ſchloß als der letzte die vor¬ uͤberwandelnde Schaar der Bildner und Werk¬ leute. Sie war der bedeutſamſte Theil des gan¬ zen Zuges geweſen, weil ſie fuͤr Alle noch eine Wahrheit war. Wenn auch nicht als organiſches, republikaniſch buͤrgerliches Gemeinweſen erwachſen, wie jenes reichsſtaͤdtiſche, ſondern durch das Wort eines zufaͤlligen Fuͤrſten zuſammengerufen, gepflegt und beſtaͤrkt, hatten alle dieſe Maͤnner und Juͤng¬
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getrauten boͤſen Ehehaͤlfte geduldig unter die Erde
zanken.
Wie anders jener roͤmiſche Raphael, der, vom
Anſchauen des alten Marmors geſaͤttigt, im Chriſt¬
lichen nur das Menſchliche ſah und ſein kurzes
bluͤhendes Leben in freudebringendem gewaltigen
Schaffen und freier Frauenliebe verzehrte. Albrecht
war ein eifriger Reformationsmann, eben weil er
ein tiefer Chriſt war; haͤtte Raphael die Refor¬
mation empfunden und mitgelebt, er wuͤrde viel¬
leicht nicht Raphael geweſen ſein. Der Gluͤckliche
traͤumte in einer anderen Welt, und Papſt wie
Luther gingen wie Schatten an ſeinem Auge vor¬
uͤber.
Albrecht Duͤrer ſchloß als der letzte die vor¬
uͤberwandelnde Schaar der Bildner und Werk¬
leute. Sie war der bedeutſamſte Theil des gan¬
zen Zuges geweſen, weil ſie fuͤr Alle noch eine
Wahrheit war. Wenn auch nicht als organiſches,
republikaniſch buͤrgerliches Gemeinweſen erwachſen,
wie jenes reichsſtaͤdtiſche, ſondern durch das Wort
eines zufaͤlligen Fuͤrſten zuſammengerufen, gepflegt
und beſtaͤrkt, hatten alle dieſe Maͤnner und Juͤng¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/266>, abgerufen am 21.11.2024.
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