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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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manche die Brüste straff in Goldstoff und Perlen¬
stickerei gespannt, zwei Rubinen auf den höchsten
Punkten, mit feinstem Linnen den Hals umschlos¬
sen, manche aber mit prächtig entblößten Schul¬
tern, von köstlichem Rauhwerk eingefaßt. Das
Fremde und Eigensinnige im Schnitt der Gewän¬
der entstellte nicht, wie sonst verjährte oder un¬
kluge Moden, sondern es schmückte auf das Höchste
und berauschte den Blick durch Eigenthümlichkeit
und Phantasie. Diese Trachten waren allerdings
den klassischen einfachen Gewandmassen griechischer
Welt gerade entgegengesetzt; aber nichts desto
minder verkündeten sie eine kecke Freude am Leben
und am Leiblichen, nur daß der persönliche Sinn,
der im Christenthume liegt, sich in den wunderlich
ausgedachten Umspannungen und Angehängseln
des schönen Körpers zeigte.

Ueberhaupt machte der ganze Festzug durch
die bloße Tracht, welche auf das Genaueste wie¬
dergegeben war, einen ganz anderen Eindruck, als
unsere neuesten frömmelnden Romantiker in ihren
unkundigen und siechen Schilderungen des Mittel¬
alters beabsichtigen.

manche die Bruͤſte ſtraff in Goldſtoff und Perlen¬
ſtickerei geſpannt, zwei Rubinen auf den hoͤchſten
Punkten, mit feinſtem Linnen den Hals umſchloſ¬
ſen, manche aber mit praͤchtig entbloͤßten Schul¬
tern, von koͤſtlichem Rauhwerk eingefaßt. Das
Fremde und Eigenſinnige im Schnitt der Gewaͤn¬
der entſtellte nicht, wie ſonſt verjaͤhrte oder un¬
kluge Moden, ſondern es ſchmuͤckte auf das Hoͤchſte
und berauſchte den Blick durch Eigenthuͤmlichkeit
und Phantaſie. Dieſe Trachten waren allerdings
den klaſſiſchen einfachen Gewandmaſſen griechiſcher
Welt gerade entgegengeſetzt; aber nichts deſto
minder verkuͤndeten ſie eine kecke Freude am Leben
und am Leiblichen, nur daß der perſoͤnliche Sinn,
der im Chriſtenthume liegt, ſich in den wunderlich
ausgedachten Umſpannungen und Angehaͤngſeln
des ſchoͤnen Koͤrpers zeigte.

Ueberhaupt machte der ganze Feſtzug durch
die bloße Tracht, welche auf das Genaueſte wie¬
dergegeben war, einen ganz anderen Eindruck, als
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[261/0271] manche die Bruͤſte ſtraff in Goldſtoff und Perlen¬ ſtickerei geſpannt, zwei Rubinen auf den hoͤchſten Punkten, mit feinſtem Linnen den Hals umſchloſ¬ ſen, manche aber mit praͤchtig entbloͤßten Schul¬ tern, von koͤſtlichem Rauhwerk eingefaßt. Das Fremde und Eigenſinnige im Schnitt der Gewaͤn¬ der entſtellte nicht, wie ſonſt verjaͤhrte oder un¬ kluge Moden, ſondern es ſchmuͤckte auf das Hoͤchſte und berauſchte den Blick durch Eigenthuͤmlichkeit und Phantaſie. Dieſe Trachten waren allerdings den klaſſiſchen einfachen Gewandmaſſen griechiſcher Welt gerade entgegengeſetzt; aber nichts deſto minder verkuͤndeten ſie eine kecke Freude am Leben und am Leiblichen, nur daß der perſoͤnliche Sinn, der im Chriſtenthume liegt, ſich in den wunderlich ausgedachten Umſpannungen und Angehaͤngſeln des ſchoͤnen Koͤrpers zeigte. Ueberhaupt machte der ganze Feſtzug durch die bloße Tracht, welche auf das Genaueſte wie¬ dergegeben war, einen ganz anderen Eindruck, als unſere neueſten froͤmmelnden Romantiker in ihren unkundigen und ſiechen Schilderungen des Mittel¬ alters beabſichtigen.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/271>, abgerufen am 22.11.2024.