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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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mit silbernen Sandalen keusch hervorguckten. Im
schwarzen, griechisch geknüpften Haare machte sich
mit Mühe die strahlende Mondsichel sichtbar, und
wenn sich Agnes nur ein bischen regte, so wurde
sie von den dunklen Locken zeitweise ganz bedeckt.
Ihr Gesicht war weiß wie Mondschein und noch
bleicher als gewöhnlich; ihr Auge flammte dunkel
und suchte den Geliebten, während in dem silber¬
glänzenden Busen der kühne Anschlag, den sie
gefaßt, pochte und rumorte.

Ferdinand aber, welcher das Gewand eines
jagdliebenden Königs gewählt hatte, um der Diana
nahe zu sein, hatte sich längst unter den Triumph¬
zug der Venus gemischt, betrachtete sie wie ein
Träumender unverwandt und wich keinen Schritt
von ihrem Wagen, ohne sich dessen inne zu wer¬
den; denn kaum hatte er Rosalien beim Beginne
des Festes gesehen, so ließ er Agnes, die er ge¬
schmückt und so eben auf den Wagen gehoben,
wie sie war, und folgte jener gleich einem Nacht¬
wandler.

Heinrich hatte sich in ein laubgrünes Narren¬
kleid gehüllt und trug einen Jagdspieß statt des

mit ſilbernen Sandalen keuſch hervorguckten. Im
ſchwarzen, griechiſch geknuͤpften Haare machte ſich
mit Muͤhe die ſtrahlende Mondſichel ſichtbar, und
wenn ſich Agnes nur ein bischen regte, ſo wurde
ſie von den dunklen Locken zeitweiſe ganz bedeckt.
Ihr Geſicht war weiß wie Mondſchein und noch
bleicher als gewoͤhnlich; ihr Auge flammte dunkel
und ſuchte den Geliebten, waͤhrend in dem ſilber¬
glaͤnzenden Buſen der kuͤhne Anſchlag, den ſie
gefaßt, pochte und rumorte.

Ferdinand aber, welcher das Gewand eines
jagdliebenden Koͤnigs gewaͤhlt hatte, um der Diana
nahe zu ſein, hatte ſich laͤngſt unter den Triumph¬
zug der Venus gemiſcht, betrachtete ſie wie ein
Traͤumender unverwandt und wich keinen Schritt
von ihrem Wagen, ohne ſich deſſen inne zu wer¬
den; denn kaum hatte er Roſalien beim Beginne
des Feſtes geſehen, ſo ließ er Agnes, die er ge¬
ſchmuͤckt und ſo eben auf den Wagen gehoben,
wie ſie war, und folgte jener gleich einem Nacht¬
wandler.

Heinrich hatte ſich in ein laubgruͤnes Narren¬
kleid gehuͤllt und trug einen Jagdſpieß ſtatt des

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[277/0287] mit ſilbernen Sandalen keuſch hervorguckten. Im ſchwarzen, griechiſch geknuͤpften Haare machte ſich mit Muͤhe die ſtrahlende Mondſichel ſichtbar, und wenn ſich Agnes nur ein bischen regte, ſo wurde ſie von den dunklen Locken zeitweiſe ganz bedeckt. Ihr Geſicht war weiß wie Mondſchein und noch bleicher als gewoͤhnlich; ihr Auge flammte dunkel und ſuchte den Geliebten, waͤhrend in dem ſilber¬ glaͤnzenden Buſen der kuͤhne Anſchlag, den ſie gefaßt, pochte und rumorte. Ferdinand aber, welcher das Gewand eines jagdliebenden Koͤnigs gewaͤhlt hatte, um der Diana nahe zu ſein, hatte ſich laͤngſt unter den Triumph¬ zug der Venus gemiſcht, betrachtete ſie wie ein Traͤumender unverwandt und wich keinen Schritt von ihrem Wagen, ohne ſich deſſen inne zu wer¬ den; denn kaum hatte er Roſalien beim Beginne des Feſtes geſehen, ſo ließ er Agnes, die er ge¬ ſchmuͤckt und ſo eben auf den Wagen gehoben, wie ſie war, und folgte jener gleich einem Nacht¬ wandler. Heinrich hatte ſich in ein laubgruͤnes Narren¬ kleid gehuͤllt und trug einen Jagdſpieß ſtatt des

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/287>, abgerufen am 22.11.2024.