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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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die er in fortwährendem Gebrauche um sich ge¬
habt, ohne sich dessen inne zu sein.

Er sah deutlich ihre Gestalt, kleine Beschädi¬
gungen, und erinnerte sich, wo und wann er sie
verfertigt, ein Stückchen Papier abgerissen oder
mit dem Federmesser daran gekritzelt hatte.

Sogleich glaubte er vom Baume herunter¬
springen, nach Hause laufen und die unschuldigen
Sachen vernichten zu müssen. Denn sie kamen
ihm nun ganz unerträglich vor. Er sah auch
seine Jugendgeschichte vor Augen, ihren Einband,
den er selbst verfertigt, das Geschreibsel, Alles
würde er sogleich zerrissen und vernichtet haben,
wenn er es in Händen gehabt hätte.

Alles Vergangene erschien ihm thöricht, dumpf
und beschämend, auch erinnerte er sich genau
aller Dummheiten, die er gemacht, sogar solcher,
die er im Kinderröckchen begangen, und er fühlte
sich roth werden über alle, weil er sich jetzt un¬
endlich klug und gereift vorkam. Auch nahm er
sich vor, von diesem Augenblicke an ganz klug
zu sein und durchaus nichts Thörichtes mehr
anzustellen.

die er in fortwaͤhrendem Gebrauche um ſich ge¬
habt, ohne ſich deſſen inne zu ſein.

Er ſah deutlich ihre Geſtalt, kleine Beſchaͤdi¬
gungen, und erinnerte ſich, wo und wann er ſie
verfertigt, ein Stuͤckchen Papier abgeriſſen oder
mit dem Federmeſſer daran gekritzelt hatte.

Sogleich glaubte er vom Baume herunter¬
ſpringen, nach Hauſe laufen und die unſchuldigen
Sachen vernichten zu muͤſſen. Denn ſie kamen
ihm nun ganz unertraͤglich vor. Er ſah auch
ſeine Jugendgeſchichte vor Augen, ihren Einband,
den er ſelbſt verfertigt, das Geſchreibſel, Alles
wuͤrde er ſogleich zerriſſen und vernichtet haben,
wenn er es in Haͤnden gehabt haͤtte.

Alles Vergangene erſchien ihm thoͤricht, dumpf
und beſchaͤmend, auch erinnerte er ſich genau
aller Dummheiten, die er gemacht, ſogar ſolcher,
die er im Kinderroͤckchen begangen, und er fuͤhlte
ſich roth werden uͤber alle, weil er ſich jetzt un¬
endlich klug und gereift vorkam. Auch nahm er
ſich vor, von dieſem Augenblicke an ganz klug
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[306/0316] die er in fortwaͤhrendem Gebrauche um ſich ge¬ habt, ohne ſich deſſen inne zu ſein. Er ſah deutlich ihre Geſtalt, kleine Beſchaͤdi¬ gungen, und erinnerte ſich, wo und wann er ſie verfertigt, ein Stuͤckchen Papier abgeriſſen oder mit dem Federmeſſer daran gekritzelt hatte. Sogleich glaubte er vom Baume herunter¬ ſpringen, nach Hauſe laufen und die unſchuldigen Sachen vernichten zu muͤſſen. Denn ſie kamen ihm nun ganz unertraͤglich vor. Er ſah auch ſeine Jugendgeſchichte vor Augen, ihren Einband, den er ſelbſt verfertigt, das Geſchreibſel, Alles wuͤrde er ſogleich zerriſſen und vernichtet haben, wenn er es in Haͤnden gehabt haͤtte. Alles Vergangene erſchien ihm thoͤricht, dumpf und beſchaͤmend, auch erinnerte er ſich genau aller Dummheiten, die er gemacht, ſogar ſolcher, die er im Kinderroͤckchen begangen, und er fuͤhlte ſich roth werden uͤber alle, weil er ſich jetzt un¬ endlich klug und gereift vorkam. Auch nahm er ſich vor, von dieſem Augenblicke an ganz klug zu ſein und durchaus nichts Thoͤrichtes mehr anzuſtellen.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/316>, abgerufen am 22.11.2024.