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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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abgelegen und vergessen von der großen Gesell¬
schaft, und führte zwischen den Myrthen- und
Orangenbäumen ein wunderlich verborgenes Le¬
ben. Da saß an einem Tischchen der fabelhafte
Bergkönig, welcher mit seiner Krone und seinem
weißen Barte aussah, als wäre er eben aus den
Fluthen des Rheines, aus der Nibelungenzeit
heraufgestiegen, und sang, indem er das lange
Kelchglas schwenkte, die lustigsten Lieder; neben
ihm zechte ein Winzer aus dem Bacchuszuge, ein
wirklicher Rheinländer, welcher eine Anzahl Cham¬
pagnerflaschen erhascht und unter den Myrthen
verborgen hatte. Es war ein untersetzter Mann
von dreißig Jahren mit einem braunen Kraus¬
kopfe und kindlich lachenden Augen, welche bald
mit frommem Ausdrucke in die Welt schauten,
bald in schlauer Lustigkeit funkelten. Seine Hände
verkündeten einen fleißigen Metallarbeiter und der
weichgeschnittene Mund einen andächtigen Trin¬
ker, indessen doch die Mundwinkel einen sinnenden
festen Zug hatten vom häufigen Verschließen und
Verziehen des Mundes über der beharrlichen pla¬
stischen Arbeit. Man nannte ihn den kleinen

abgelegen und vergeſſen von der großen Geſell¬
ſchaft, und fuͤhrte zwiſchen den Myrthen- und
Orangenbaͤumen ein wunderlich verborgenes Le¬
ben. Da ſaß an einem Tiſchchen der fabelhafte
Bergkoͤnig, welcher mit ſeiner Krone und ſeinem
weißen Barte ausſah, als waͤre er eben aus den
Fluthen des Rheines, aus der Nibelungenzeit
heraufgeſtiegen, und ſang, indem er das lange
Kelchglas ſchwenkte, die luſtigſten Lieder; neben
ihm zechte ein Winzer aus dem Bacchuszuge, ein
wirklicher Rheinlaͤnder, welcher eine Anzahl Cham¬
pagnerflaſchen erhaſcht und unter den Myrthen
verborgen hatte. Es war ein unterſetzter Mann
von dreißig Jahren mit einem braunen Kraus¬
kopfe und kindlich lachenden Augen, welche bald
mit frommem Ausdrucke in die Welt ſchauten,
bald in ſchlauer Luſtigkeit funkelten. Seine Haͤnde
verkuͤndeten einen fleißigen Metallarbeiter und der
weichgeſchnittene Mund einen andaͤchtigen Trin¬
ker, indeſſen doch die Mundwinkel einen ſinnenden
feſten Zug hatten vom haͤufigen Verſchließen und
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ſtiſchen Arbeit. Man nannte ihn den kleinen

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[338/0348] abgelegen und vergeſſen von der großen Geſell¬ ſchaft, und fuͤhrte zwiſchen den Myrthen- und Orangenbaͤumen ein wunderlich verborgenes Le¬ ben. Da ſaß an einem Tiſchchen der fabelhafte Bergkoͤnig, welcher mit ſeiner Krone und ſeinem weißen Barte ausſah, als waͤre er eben aus den Fluthen des Rheines, aus der Nibelungenzeit heraufgeſtiegen, und ſang, indem er das lange Kelchglas ſchwenkte, die luſtigſten Lieder; neben ihm zechte ein Winzer aus dem Bacchuszuge, ein wirklicher Rheinlaͤnder, welcher eine Anzahl Cham¬ pagnerflaſchen erhaſcht und unter den Myrthen verborgen hatte. Es war ein unterſetzter Mann von dreißig Jahren mit einem braunen Kraus¬ kopfe und kindlich lachenden Augen, welche bald mit frommem Ausdrucke in die Welt ſchauten, bald in ſchlauer Luſtigkeit funkelten. Seine Haͤnde verkuͤndeten einen fleißigen Metallarbeiter und der weichgeſchnittene Mund einen andaͤchtigen Trin¬ ker, indeſſen doch die Mundwinkel einen ſinnenden feſten Zug hatten vom haͤufigen Verſchließen und Verziehen des Mundes uͤber der beharrlichen pla¬ ſtiſchen Arbeit. Man nannte ihn den kleinen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/348>, abgerufen am 21.11.2024.