Zeit merkwürdige Träume und Ahnungen habe, daß sie schon ein paar Dinge vorausgesagt, die wirklich eingetroffen, daß manchmal im Traume, wie im Wachen sie plötzlich eine Art Vorstellung und Ahnung von dem bekomme, was entfernte Personen, die ihr lieb sind, jetzt thun oder lassen oder wie sie sich befinden, daß sie jetzt ganz fromm sei und endlich auf der Brust leide! Ich glaube dergleichen Sachen nicht, aber krank ist sie gewiß, und ich wünsche ihr aufrichtig alles Gute, denn sie ist mir auch lieb um deinetwillen. -- Aber Alle müssen leiden, was ihnen bestimmt ist!" setzte sie nachdenklich hinzu.
Während ich ungläubig den Kopf schüttelte, durchfuhr mich doch ein leichter Schauer, und ein seltsamer Schleier der Fremdartigkeit legte sich um Anna's Gestalt, welche meinem inneren Auge vorschwebte. Und fast in demselben Augenblicke war es mir auch, als ob sie mich jetzt sehen müsse, wie ich vertraulich bei der Judith stand; ich erschrak darüber und sah mich um. Der Ne¬ bel löste sich auf, schon sah man durch seine sil¬ bernen Flocken den blauen Himmel, einzelne Son¬
Zeit merkwuͤrdige Traͤume und Ahnungen habe, daß ſie ſchon ein paar Dinge vorausgeſagt, die wirklich eingetroffen, daß manchmal im Traume, wie im Wachen ſie ploͤtzlich eine Art Vorſtellung und Ahnung von dem bekomme, was entfernte Perſonen, die ihr lieb ſind, jetzt thun oder laſſen oder wie ſie ſich befinden, daß ſie jetzt ganz fromm ſei und endlich auf der Bruſt leide! Ich glaube dergleichen Sachen nicht, aber krank iſt ſie gewiß, und ich wuͤnſche ihr aufrichtig alles Gute, denn ſie iſt mir auch lieb um deinetwillen. — Aber Alle muͤſſen leiden, was ihnen beſtimmt iſt!« ſetzte ſie nachdenklich hinzu.
Waͤhrend ich unglaͤubig den Kopf ſchuͤttelte, durchfuhr mich doch ein leichter Schauer, und ein ſeltſamer Schleier der Fremdartigkeit legte ſich um Anna's Geſtalt, welche meinem inneren Auge vorſchwebte. Und faſt in demſelben Augenblicke war es mir auch, als ob ſie mich jetzt ſehen muͤſſe, wie ich vertraulich bei der Judith ſtand; ich erſchrak daruͤber und ſah mich um. Der Ne¬ bel loͤſte ſich auf, ſchon ſah man durch ſeine ſil¬ bernen Flocken den blauen Himmel, einzelne Son¬
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Zeit merkwuͤrdige Traͤume und Ahnungen habe,
daß ſie ſchon ein paar Dinge vorausgeſagt, die
wirklich eingetroffen, daß manchmal im Traume,
wie im Wachen ſie ploͤtzlich eine Art Vorſtellung
und Ahnung von dem bekomme, was entfernte
Perſonen, die ihr lieb ſind, jetzt thun oder laſſen
oder wie ſie ſich befinden, daß ſie jetzt ganz fromm
ſei und endlich auf der Bruſt leide! Ich glaube
dergleichen Sachen nicht, aber krank iſt ſie gewiß,
und ich wuͤnſche ihr aufrichtig alles Gute, denn
ſie iſt mir auch lieb um deinetwillen. — Aber
Alle muͤſſen leiden, was ihnen beſtimmt iſt!«
ſetzte ſie nachdenklich hinzu.
Waͤhrend ich unglaͤubig den Kopf ſchuͤttelte,
durchfuhr mich doch ein leichter Schauer, und ein
ſeltſamer Schleier der Fremdartigkeit legte ſich
um Anna's Geſtalt, welche meinem inneren Auge
vorſchwebte. Und faſt in demſelben Augenblicke
war es mir auch, als ob ſie mich jetzt ſehen
muͤſſe, wie ich vertraulich bei der Judith ſtand;
ich erſchrak daruͤber und ſah mich um. Der Ne¬
bel loͤſte ſich auf, ſchon ſah man durch ſeine ſil¬
bernen Flocken den blauen Himmel, einzelne Son¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/74>, abgerufen am 27.11.2024.
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