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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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send, und zugleich tauchten in ihrer Erinnerung
die grünen Landstriche und die Garten ihrer Ju¬
gend auf, in welchen sie einst selbst so gedeihlich
gepflanzt hatte, daß sie zehnmal mehr wegzu¬
schenken im Stande war, als sie jetzt bedächtig
und theuer einkaufen mußte. Hätte sie noch
große Vorräthe für eine zahlreiche Familie einzu¬
kaufen und zu ordnen gehabt, so würde das ein
Ersatz gewesen sein für das Pflanzen und Gra¬
ben; aber auch dieser Beruf war ihr genommen
und daher war die Handvoll grüner Bohnen,
Spinatblättchen oder junge Rübchen, welche sie
endlich in ihr Körbchen that, nachdem sie man¬
chen scharfen Verweis und Zuspruch wegen Ueber¬
theuerung ausgetheilt, ihr ein nothdürftiges Pfand
und Symbolum, sammt dem Büschelchen Peter¬
silie oder Schnittlauch, das sie gratis erkämpft.
Dies war ihre Poesie, Elegie und Samstagstra¬
gödie.

Das schöne weiße Stadtbrot, das bislang in
ihrem Hause gegolten, schaffte sie nach Heinrich's
Abreise sogleich ab und bezog alle vierzehn Tage
ein billiges rauhes Landbrot, welches sie so sparsam

ſend, und zugleich tauchten in ihrer Erinnerung
die gruͤnen Landſtriche und die Garten ihrer Ju¬
gend auf, in welchen ſie einſt ſelbſt ſo gedeihlich
gepflanzt hatte, daß ſie zehnmal mehr wegzu¬
ſchenken im Stande war, als ſie jetzt bedaͤchtig
und theuer einkaufen mußte. Haͤtte ſie noch
große Vorraͤthe fuͤr eine zahlreiche Familie einzu¬
kaufen und zu ordnen gehabt, ſo wuͤrde das ein
Erſatz geweſen ſein fuͤr das Pflanzen und Gra¬
ben; aber auch dieſer Beruf war ihr genommen
und daher war die Handvoll gruͤner Bohnen,
Spinatblaͤttchen oder junge Ruͤbchen, welche ſie
endlich in ihr Koͤrbchen that, nachdem ſie man¬
chen ſcharfen Verweis und Zuſpruch wegen Ueber¬
theuerung ausgetheilt, ihr ein nothduͤrftiges Pfand
und Symbolum, ſammt dem Buͤſchelchen Peter¬
ſilie oder Schnittlauch, das ſie gratis erkaͤmpft.
Dies war ihre Poeſie, Elegie und Samſtagstra¬
goͤdie.

Das ſchoͤne weiße Stadtbrot, das bislang in
ihrem Hauſe gegolten, ſchaffte ſie nach Heinrich's
Abreiſe ſogleich ab und bezog alle vierzehn Tage
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[107/0117] ſend, und zugleich tauchten in ihrer Erinnerung die gruͤnen Landſtriche und die Garten ihrer Ju¬ gend auf, in welchen ſie einſt ſelbſt ſo gedeihlich gepflanzt hatte, daß ſie zehnmal mehr wegzu¬ ſchenken im Stande war, als ſie jetzt bedaͤchtig und theuer einkaufen mußte. Haͤtte ſie noch große Vorraͤthe fuͤr eine zahlreiche Familie einzu¬ kaufen und zu ordnen gehabt, ſo wuͤrde das ein Erſatz geweſen ſein fuͤr das Pflanzen und Gra¬ ben; aber auch dieſer Beruf war ihr genommen und daher war die Handvoll gruͤner Bohnen, Spinatblaͤttchen oder junge Ruͤbchen, welche ſie endlich in ihr Koͤrbchen that, nachdem ſie man¬ chen ſcharfen Verweis und Zuſpruch wegen Ueber¬ theuerung ausgetheilt, ihr ein nothduͤrftiges Pfand und Symbolum, ſammt dem Buͤſchelchen Peter¬ ſilie oder Schnittlauch, das ſie gratis erkaͤmpft. Dies war ihre Poeſie, Elegie und Samſtagstra¬ goͤdie. Das ſchoͤne weiße Stadtbrot, das bislang in ihrem Hauſe gegolten, ſchaffte ſie nach Heinrich's Abreiſe ſogleich ab und bezog alle vierzehn Tage ein billiges rauhes Landbrot, welches ſie ſo ſparſam

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/117>, abgerufen am 28.11.2024.