send, und zugleich tauchten in ihrer Erinnerung die grünen Landstriche und die Garten ihrer Ju¬ gend auf, in welchen sie einst selbst so gedeihlich gepflanzt hatte, daß sie zehnmal mehr wegzu¬ schenken im Stande war, als sie jetzt bedächtig und theuer einkaufen mußte. Hätte sie noch große Vorräthe für eine zahlreiche Familie einzu¬ kaufen und zu ordnen gehabt, so würde das ein Ersatz gewesen sein für das Pflanzen und Gra¬ ben; aber auch dieser Beruf war ihr genommen und daher war die Handvoll grüner Bohnen, Spinatblättchen oder junge Rübchen, welche sie endlich in ihr Körbchen that, nachdem sie man¬ chen scharfen Verweis und Zuspruch wegen Ueber¬ theuerung ausgetheilt, ihr ein nothdürftiges Pfand und Symbolum, sammt dem Büschelchen Peter¬ silie oder Schnittlauch, das sie gratis erkämpft. Dies war ihre Poesie, Elegie und Samstagstra¬ gödie.
Das schöne weiße Stadtbrot, das bislang in ihrem Hause gegolten, schaffte sie nach Heinrich's Abreise sogleich ab und bezog alle vierzehn Tage ein billiges rauhes Landbrot, welches sie so sparsam
ſend, und zugleich tauchten in ihrer Erinnerung die gruͤnen Landſtriche und die Garten ihrer Ju¬ gend auf, in welchen ſie einſt ſelbſt ſo gedeihlich gepflanzt hatte, daß ſie zehnmal mehr wegzu¬ ſchenken im Stande war, als ſie jetzt bedaͤchtig und theuer einkaufen mußte. Haͤtte ſie noch große Vorraͤthe fuͤr eine zahlreiche Familie einzu¬ kaufen und zu ordnen gehabt, ſo wuͤrde das ein Erſatz geweſen ſein fuͤr das Pflanzen und Gra¬ ben; aber auch dieſer Beruf war ihr genommen und daher war die Handvoll gruͤner Bohnen, Spinatblaͤttchen oder junge Ruͤbchen, welche ſie endlich in ihr Koͤrbchen that, nachdem ſie man¬ chen ſcharfen Verweis und Zuſpruch wegen Ueber¬ theuerung ausgetheilt, ihr ein nothduͤrftiges Pfand und Symbolum, ſammt dem Buͤſchelchen Peter¬ ſilie oder Schnittlauch, das ſie gratis erkaͤmpft. Dies war ihre Poeſie, Elegie und Samſtagstra¬ goͤdie.
Das ſchoͤne weiße Stadtbrot, das bislang in ihrem Hauſe gegolten, ſchaffte ſie nach Heinrich's Abreiſe ſogleich ab und bezog alle vierzehn Tage ein billiges rauhes Landbrot, welches ſie ſo ſparſam
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0117"n="107"/>ſend, und zugleich tauchten in ihrer Erinnerung<lb/>
die gruͤnen Landſtriche und die Garten ihrer Ju¬<lb/>
gend auf, in welchen ſie einſt ſelbſt ſo gedeihlich<lb/>
gepflanzt hatte, daß ſie zehnmal mehr wegzu¬<lb/>ſchenken im Stande war, als ſie jetzt bedaͤchtig<lb/>
und theuer einkaufen mußte. Haͤtte ſie noch<lb/>
große Vorraͤthe fuͤr eine zahlreiche Familie einzu¬<lb/>
kaufen und zu ordnen gehabt, ſo wuͤrde das ein<lb/>
Erſatz geweſen ſein fuͤr das Pflanzen und Gra¬<lb/>
ben; aber auch dieſer Beruf war ihr genommen<lb/>
und daher war die Handvoll gruͤner Bohnen,<lb/>
Spinatblaͤttchen oder junge Ruͤbchen, welche ſie<lb/>
endlich in ihr Koͤrbchen that, nachdem ſie man¬<lb/>
chen ſcharfen Verweis und Zuſpruch wegen Ueber¬<lb/>
theuerung ausgetheilt, ihr ein nothduͤrftiges Pfand<lb/>
und Symbolum, ſammt dem Buͤſchelchen Peter¬<lb/>ſilie oder Schnittlauch, das ſie gratis erkaͤmpft.<lb/>
Dies war ihre Poeſie, Elegie und Samſtagstra¬<lb/>
goͤdie.</p><lb/><p>Das ſchoͤne weiße Stadtbrot, das bislang in<lb/>
ihrem Hauſe gegolten, ſchaffte ſie nach Heinrich's<lb/>
Abreiſe ſogleich ab und bezog alle vierzehn Tage<lb/>
ein billiges rauhes Landbrot, welches ſie ſo ſparſam<lb/></p></div></body></text></TEI>
[107/0117]
ſend, und zugleich tauchten in ihrer Erinnerung
die gruͤnen Landſtriche und die Garten ihrer Ju¬
gend auf, in welchen ſie einſt ſelbſt ſo gedeihlich
gepflanzt hatte, daß ſie zehnmal mehr wegzu¬
ſchenken im Stande war, als ſie jetzt bedaͤchtig
und theuer einkaufen mußte. Haͤtte ſie noch
große Vorraͤthe fuͤr eine zahlreiche Familie einzu¬
kaufen und zu ordnen gehabt, ſo wuͤrde das ein
Erſatz geweſen ſein fuͤr das Pflanzen und Gra¬
ben; aber auch dieſer Beruf war ihr genommen
und daher war die Handvoll gruͤner Bohnen,
Spinatblaͤttchen oder junge Ruͤbchen, welche ſie
endlich in ihr Koͤrbchen that, nachdem ſie man¬
chen ſcharfen Verweis und Zuſpruch wegen Ueber¬
theuerung ausgetheilt, ihr ein nothduͤrftiges Pfand
und Symbolum, ſammt dem Buͤſchelchen Peter¬
ſilie oder Schnittlauch, das ſie gratis erkaͤmpft.
Dies war ihre Poeſie, Elegie und Samſtagstra¬
goͤdie.
Das ſchoͤne weiße Stadtbrot, das bislang in
ihrem Hauſe gegolten, ſchaffte ſie nach Heinrich's
Abreiſe ſogleich ab und bezog alle vierzehn Tage
ein billiges rauhes Landbrot, welches ſie ſo ſparſam
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/117>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.