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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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gegebenen Mittel aufzubringen, eine Summe auf
ihr Haus aufnehmen und eintragen lassen. Dies
war nun seit langen Jahren das erste Mal, daß
an ihrem kleinen Besitzthum eine eingreifende Ver¬
änderung vorgenommen wurde, und zwar nicht zu
dessen Vermehrung; zudem herrschte gerade eine
Geldklemme, so daß die gute Frau viele Mühe
und viele saure Gänge bei Geschäftsleuten und
Unterhändlern aller Art zu bestehen hatte, bis
endlich das Geld in ihrem Schreibtische lag
und sie dazu noch die Darleiher, welche für
ihren Nutzen hinlänglich gesorgt hatten, als große
Wohlthäter betrachten mußte. Nun war sie aber
auch so müde und eingeschüchtert, daß sie nicht
vermochte, sich etwa nach einem bequemen Wechsel¬
brief umzusehen, sondern sie wickelte das Geld in
vieles starkes Papier ein, umwand es mit vielen
dicken Schnüren und wandte es seufzend und un¬
ter Thränen um und um, überall das heiße Sie¬
gelwachs aufträufelnd und höchst ungeschickt
siegelnd und petschirend. Dann legte sie das
schwere unbeholfene Packet in ihren Strickbeutel,
nahm diesen aus den Arm und schlich damit auf

gegebenen Mittel aufzubringen, eine Summe auf
ihr Haus aufnehmen und eintragen laſſen. Dies
war nun ſeit langen Jahren das erſte Mal, daß
an ihrem kleinen Beſitzthum eine eingreifende Ver¬
aͤnderung vorgenommen wurde, und zwar nicht zu
deſſen Vermehrung; zudem herrſchte gerade eine
Geldklemme, ſo daß die gute Frau viele Muͤhe
und viele ſaure Gaͤnge bei Geſchaͤftsleuten und
Unterhaͤndlern aller Art zu beſtehen hatte, bis
endlich das Geld in ihrem Schreibtiſche lag
und ſie dazu noch die Darleiher, welche fuͤr
ihren Nutzen hinlaͤnglich geſorgt hatten, als große
Wohlthaͤter betrachten mußte. Nun war ſie aber
auch ſo muͤde und eingeſchuͤchtert, daß ſie nicht
vermochte, ſich etwa nach einem bequemen Wechſel¬
brief umzuſehen, ſondern ſie wickelte das Geld in
vieles ſtarkes Papier ein, umwand es mit vielen
dicken Schnuͤren und wandte es ſeufzend und un¬
ter Thraͤnen um und um, uͤberall das heiße Sie¬
gelwachs auftraͤufelnd und hoͤchſt ungeſchickt
ſiegelnd und petſchirend. Dann legte ſie das
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[152/0162] gegebenen Mittel aufzubringen, eine Summe auf ihr Haus aufnehmen und eintragen laſſen. Dies war nun ſeit langen Jahren das erſte Mal, daß an ihrem kleinen Beſitzthum eine eingreifende Ver¬ aͤnderung vorgenommen wurde, und zwar nicht zu deſſen Vermehrung; zudem herrſchte gerade eine Geldklemme, ſo daß die gute Frau viele Muͤhe und viele ſaure Gaͤnge bei Geſchaͤftsleuten und Unterhaͤndlern aller Art zu beſtehen hatte, bis endlich das Geld in ihrem Schreibtiſche lag und ſie dazu noch die Darleiher, welche fuͤr ihren Nutzen hinlaͤnglich geſorgt hatten, als große Wohlthaͤter betrachten mußte. Nun war ſie aber auch ſo muͤde und eingeſchuͤchtert, daß ſie nicht vermochte, ſich etwa nach einem bequemen Wechſel¬ brief umzuſehen, ſondern ſie wickelte das Geld in vieles ſtarkes Papier ein, umwand es mit vielen dicken Schnuͤren und wandte es ſeufzend und un¬ ter Thraͤnen um und um, uͤberall das heiße Sie¬ gelwachs auftraͤufelnd und hoͤchſt ungeſchickt ſiegelnd und petſchirend. Dann legte ſie das ſchwere unbeholfene Packet in ihren Strickbeutel, nahm dieſen aus den Arm und ſchlich damit auf

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/162>, abgerufen am 30.11.2024.