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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Tage abermals bei denen anzuklopfen, die er so¬
eben befriedigt hatte, kurz auf einmal verließ ihn
alle die Herrlichkeit, Weisheit und Gewandtheit,
der Schleier fiel von der dürren Lage der Dinge
und er ergab sich ganz demüthig und geduldig
dem Gefühle der nackten Armuth. Als der Mit¬
tag kam, ging er aus in alter Gewohnheit, ver¬
barg sich aber vor allen Bekannten; er kehrte
wieder in seine Wohnung, und als der Abend kam,
war er doch höchlich verwundert, nichts gegessen
zu haben an diesem Tage. Als aber der nächste
Tag eben so verlief und es ihn anfing, tüchtig
zu hungern, erinnerte er sich plötzlich der weisen
Tischreden seiner Mutter, wenn er als kleiner
Junge das Essen getadelt hatte und sie ihm dann
vorhielt, wie er einst vielleicht froh sein würde,
nur solches Essen zu haben. Das erste Gefühl,
was er hierbei empfand, war ein Gefühl der
Achtung vor der ordentlichen Regelmäßigkeit und
Folgerichtigkeit der Dinge, wie Alles so schön ein¬
treffe; und in der That ist nichts so geeignet,
den nothwendigen und gründlichen Weltlauf recht
einzuprägen, als wenn der Mensch hungert, weil

Tage abermals bei denen anzuklopfen, die er ſo¬
eben befriedigt hatte, kurz auf einmal verließ ihn
alle die Herrlichkeit, Weisheit und Gewandtheit,
der Schleier fiel von der duͤrren Lage der Dinge
und er ergab ſich ganz demuͤthig und geduldig
dem Gefuͤhle der nackten Armuth. Als der Mit¬
tag kam, ging er aus in alter Gewohnheit, ver¬
barg ſich aber vor allen Bekannten; er kehrte
wieder in ſeine Wohnung, und als der Abend kam,
war er doch hoͤchlich verwundert, nichts gegeſſen
zu haben an dieſem Tage. Als aber der naͤchſte
Tag eben ſo verlief und es ihn anfing, tuͤchtig
zu hungern, erinnerte er ſich ploͤtzlich der weiſen
Tiſchreden ſeiner Mutter, wenn er als kleiner
Junge das Eſſen getadelt hatte und ſie ihm dann
vorhielt, wie er einſt vielleicht froh ſein wuͤrde,
nur ſolches Eſſen zu haben. Das erſte Gefuͤhl,
was er hierbei empfand, war ein Gefuͤhl der
Achtung vor der ordentlichen Regelmaͤßigkeit und
Folgerichtigkeit der Dinge, wie Alles ſo ſchoͤn ein¬
treffe; und in der That iſt nichts ſo geeignet,
den nothwendigen und gruͤndlichen Weltlauf recht
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[156/0166] Tage abermals bei denen anzuklopfen, die er ſo¬ eben befriedigt hatte, kurz auf einmal verließ ihn alle die Herrlichkeit, Weisheit und Gewandtheit, der Schleier fiel von der duͤrren Lage der Dinge und er ergab ſich ganz demuͤthig und geduldig dem Gefuͤhle der nackten Armuth. Als der Mit¬ tag kam, ging er aus in alter Gewohnheit, ver¬ barg ſich aber vor allen Bekannten; er kehrte wieder in ſeine Wohnung, und als der Abend kam, war er doch hoͤchlich verwundert, nichts gegeſſen zu haben an dieſem Tage. Als aber der naͤchſte Tag eben ſo verlief und es ihn anfing, tuͤchtig zu hungern, erinnerte er ſich ploͤtzlich der weiſen Tiſchreden ſeiner Mutter, wenn er als kleiner Junge das Eſſen getadelt hatte und ſie ihm dann vorhielt, wie er einſt vielleicht froh ſein wuͤrde, nur ſolches Eſſen zu haben. Das erſte Gefuͤhl, was er hierbei empfand, war ein Gefuͤhl der Achtung vor der ordentlichen Regelmaͤßigkeit und Folgerichtigkeit der Dinge, wie Alles ſo ſchoͤn ein¬ treffe; und in der That iſt nichts ſo geeignet, den nothwendigen und gruͤndlichen Weltlauf recht einzupraͤgen, als wenn der Menſch hungert, weil

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/166>, abgerufen am 29.11.2024.