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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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pflicht, als mit frohem Dank aufgenommen wird.
Jetzt bat sie ihn um Berichtigung seiner Schuld,
da mit ihrer Beobachtung, daß Heinrich einiger
Baarschaft froh war, zugleich das eigene nicht
eine Stunde länger zu ertragende Bedürfniß sich
gesteigert hatte, und zwar in aller Aufrichtigkeit
und Ueberzeugung. Denn das ist das ergötzliche
und artige Band bei der Armuth, wenn Eines
ein Häppchen erschnappt hat, so schreit das An¬
dere, das sich bislang ganz still gehalten, plötzlich
und ohne Bosheit, als ob es am Spieße stäke,
und dieser liebenswürdige Wechsel von Entbeh¬
rung und Mitgenuß, von Opferfreudigkeit und
unverhohlenem Anspruch läßt sie nur um so natür¬
licher und menschlicher empfinden und zum Vor¬
schein kommen. Heinrich, der seinerseits eben so
unbefangen nicht an seine Schuld gedacht hatte,
war in der gleichen Unbefangenheit nur froh,
der Frau sogleich genügen zu können, und sah
sich, ehe er sich ganz ermuntert, beinahe des gan¬
zen Ergebnisses seiner Spirallinie beraubt. So
erfuhr er nun eine noch bedeutsamere Seite der
Schuldbarkeit und Pflichterfüllung, nämlich wie

pflicht, als mit frohem Dank aufgenommen wird.
Jetzt bat ſie ihn um Berichtigung ſeiner Schuld,
da mit ihrer Beobachtung, daß Heinrich einiger
Baarſchaft froh war, zugleich das eigene nicht
eine Stunde laͤnger zu ertragende Beduͤrfniß ſich
geſteigert hatte, und zwar in aller Aufrichtigkeit
und Ueberzeugung. Denn das iſt das ergoͤtzliche
und artige Band bei der Armuth, wenn Eines
ein Haͤppchen erſchnappt hat, ſo ſchreit das An¬
dere, das ſich bislang ganz ſtill gehalten, ploͤtzlich
und ohne Bosheit, als ob es am Spieße ſtaͤke,
und dieſer liebenswuͤrdige Wechſel von Entbeh¬
rung und Mitgenuß, von Opferfreudigkeit und
unverhohlenem Anſpruch laͤßt ſie nur um ſo natuͤr¬
licher und menſchlicher empfinden und zum Vor¬
ſchein kommen. Heinrich, der ſeinerſeits eben ſo
unbefangen nicht an ſeine Schuld gedacht hatte,
war in der gleichen Unbefangenheit nur froh,
der Frau ſogleich genuͤgen zu koͤnnen, und ſah
ſich, ehe er ſich ganz ermuntert, beinahe des gan¬
zen Ergebniſſes ſeiner Spirallinie beraubt. So
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[200/0210] pflicht, als mit frohem Dank aufgenommen wird. Jetzt bat ſie ihn um Berichtigung ſeiner Schuld, da mit ihrer Beobachtung, daß Heinrich einiger Baarſchaft froh war, zugleich das eigene nicht eine Stunde laͤnger zu ertragende Beduͤrfniß ſich geſteigert hatte, und zwar in aller Aufrichtigkeit und Ueberzeugung. Denn das iſt das ergoͤtzliche und artige Band bei der Armuth, wenn Eines ein Haͤppchen erſchnappt hat, ſo ſchreit das An¬ dere, das ſich bislang ganz ſtill gehalten, ploͤtzlich und ohne Bosheit, als ob es am Spieße ſtaͤke, und dieſer liebenswuͤrdige Wechſel von Entbeh¬ rung und Mitgenuß, von Opferfreudigkeit und unverhohlenem Anſpruch laͤßt ſie nur um ſo natuͤr¬ licher und menſchlicher empfinden und zum Vor¬ ſchein kommen. Heinrich, der ſeinerſeits eben ſo unbefangen nicht an ſeine Schuld gedacht hatte, war in der gleichen Unbefangenheit nur froh, der Frau ſogleich genuͤgen zu koͤnnen, und ſah ſich, ehe er ſich ganz ermuntert, beinahe des gan¬ zen Ergebniſſes ſeiner Spirallinie beraubt. So erfuhr er nun eine noch bedeutſamere Seite der Schuldbarkeit und Pflichterfuͤllung, naͤmlich wie

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/210>, abgerufen am 21.11.2024.