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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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es thut, wenn man nicht etwa nur mit leicht erworbe¬
nen oder fremden Mitteln zierlich und gern seine
Pflicht löst, sondern auch mit der Frucht der bit¬
teren und anhaltenden Arbeit Recht und Mensch¬
lichkeit zufriedenstellt, ehe man an die eigene Noth
denkt. Dies war sein glückliches Erbgut, das
weit mehr in seinem Blute als in seinem Wissen
lag, daß er durchaus keinen Unterschied zu machen
vermochte zwischen dem Gelde, das er ohne Mühe
durch die Sorge Anderer erhalten, und zwischen
dem, was er sich sauer erworben; denn es hin¬
derte ihn nun, in der Versuchung der Noth jener
Klugheit und anscheinend gerechtfertigter Berech¬
nung zu verfallen, welche so manche Menschen in
schlimmeren Zeiten wohl schlau über dem Wasser
hält, aber nur um sie dann gänzlich in Selbstsucht
und Gemüthsschmutz untergehen zu lassen.

Die bedrängte Wirthin befreite sich noch am
selben Tage von einer Menge kleiner heftiger
Gläubiger, erhielt neuen Credit beim Bäcker,
that sich etwas gütlich mit ihren vom Vater ver¬
lassenen Kindern, erwarb sogar ein Stück gerin¬
gen Zeuges zu neuen Hemdchen für dieselben,

es thut, wenn man nicht etwa nur mit leicht erworbe¬
nen oder fremden Mitteln zierlich und gern ſeine
Pflicht loͤſt, ſondern auch mit der Frucht der bit¬
teren und anhaltenden Arbeit Recht und Menſch¬
lichkeit zufriedenſtellt, ehe man an die eigene Noth
denkt. Dies war ſein gluͤckliches Erbgut, das
weit mehr in ſeinem Blute als in ſeinem Wiſſen
lag, daß er durchaus keinen Unterſchied zu machen
vermochte zwiſchen dem Gelde, das er ohne Muͤhe
durch die Sorge Anderer erhalten, und zwiſchen
dem, was er ſich ſauer erworben; denn es hin¬
derte ihn nun, in der Verſuchung der Noth jener
Klugheit und anſcheinend gerechtfertigter Berech¬
nung zu verfallen, welche ſo manche Menſchen in
ſchlimmeren Zeiten wohl ſchlau uͤber dem Waſſer
haͤlt, aber nur um ſie dann gaͤnzlich in Selbſtſucht
und Gemuͤthsſchmutz untergehen zu laſſen.

Die bedraͤngte Wirthin befreite ſich noch am
ſelben Tage von einer Menge kleiner heftiger
Glaͤubiger, erhielt neuen Credit beim Baͤcker,
that ſich etwas guͤtlich mit ihren vom Vater ver¬
laſſenen Kindern, erwarb ſogar ein Stuͤck gerin¬
gen Zeuges zu neuen Hemdchen fuͤr dieſelben,

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[201/0211] es thut, wenn man nicht etwa nur mit leicht erworbe¬ nen oder fremden Mitteln zierlich und gern ſeine Pflicht loͤſt, ſondern auch mit der Frucht der bit¬ teren und anhaltenden Arbeit Recht und Menſch¬ lichkeit zufriedenſtellt, ehe man an die eigene Noth denkt. Dies war ſein gluͤckliches Erbgut, das weit mehr in ſeinem Blute als in ſeinem Wiſſen lag, daß er durchaus keinen Unterſchied zu machen vermochte zwiſchen dem Gelde, das er ohne Muͤhe durch die Sorge Anderer erhalten, und zwiſchen dem, was er ſich ſauer erworben; denn es hin¬ derte ihn nun, in der Verſuchung der Noth jener Klugheit und anſcheinend gerechtfertigter Berech¬ nung zu verfallen, welche ſo manche Menſchen in ſchlimmeren Zeiten wohl ſchlau uͤber dem Waſſer haͤlt, aber nur um ſie dann gaͤnzlich in Selbſtſucht und Gemuͤthsſchmutz untergehen zu laſſen. Die bedraͤngte Wirthin befreite ſich noch am ſelben Tage von einer Menge kleiner heftiger Glaͤubiger, erhielt neuen Credit beim Baͤcker, that ſich etwas guͤtlich mit ihren vom Vater ver¬ laſſenen Kindern, erwarb ſogar ein Stuͤck gerin¬ gen Zeuges zu neuen Hemdchen fuͤr dieſelben,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/211>, abgerufen am 21.11.2024.