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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Fluren wallten und zogen viele Schaaren von
Landleuten und sammelten sich zu heiteren Festen,
zu allerhand Handlungen und Lebensübungen,
was er Alles aufmerksam beobachtete. Wenn
aber solche Züge nahe an ihm vorübergingen und
er manche Befreundete erkennen konnte, so schalten
diese ihn im Vorbeigehen, wie er, theilnahmlos
in seinem Elende verharrend, nicht sehen könne,
was um ihn herum vorgehe. Er vertheidigte
sich, indem sie vorüberzogen, und rief ihnen sorg¬
fältig gefügte Worte nach, welche wie ein Lied
klangen, und dieser Klang lag ihm nach dem
Erwachen fort und fort im Gehör, indessen er
sich wohl noch des Sinnes, aber durchaus nicht
mehr der Worte erinnern konnte, oder wenigstens
nur so viel, daß sie wohl an sich sinnlos, aber
gut gemeint gewesen seien. Es reizte ihn aber
unwiderstehlich, die liedartige Rede herzustellen
oder vielmehr von Neuem abzufassen bei wachen
Sinnen, und indem er ein altes Bleistümpfchen
und ein Fetzchen Papier mit Mühe zusammen¬
suchte, schrieb er, in Takt gerathend und mit den
Fingern zählend, diese Strophen auf:

Fluren wallten und zogen viele Schaaren von
Landleuten und ſammelten ſich zu heiteren Feſten,
zu allerhand Handlungen und Lebensuͤbungen,
was er Alles aufmerkſam beobachtete. Wenn
aber ſolche Zuͤge nahe an ihm voruͤbergingen und
er manche Befreundete erkennen konnte, ſo ſchalten
dieſe ihn im Vorbeigehen, wie er, theilnahmlos
in ſeinem Elende verharrend, nicht ſehen koͤnne,
was um ihn herum vorgehe. Er vertheidigte
ſich, indem ſie voruͤberzogen, und rief ihnen ſorg¬
faͤltig gefuͤgte Worte nach, welche wie ein Lied
klangen, und dieſer Klang lag ihm nach dem
Erwachen fort und fort im Gehoͤr, indeſſen er
ſich wohl noch des Sinnes, aber durchaus nicht
mehr der Worte erinnern konnte, oder wenigſtens
nur ſo viel, daß ſie wohl an ſich ſinnlos, aber
gut gemeint geweſen ſeien. Es reizte ihn aber
unwiderſtehlich, die liedartige Rede herzuſtellen
oder vielmehr von Neuem abzufaſſen bei wachen
Sinnen, und indem er ein altes Bleiſtuͤmpfchen
und ein Fetzchen Papier mit Muͤhe zuſammen¬
ſuchte, ſchrieb er, in Takt gerathend und mit den
Fingern zaͤhlend, dieſe Strophen auf:

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[263/0273] Fluren wallten und zogen viele Schaaren von Landleuten und ſammelten ſich zu heiteren Feſten, zu allerhand Handlungen und Lebensuͤbungen, was er Alles aufmerkſam beobachtete. Wenn aber ſolche Zuͤge nahe an ihm voruͤbergingen und er manche Befreundete erkennen konnte, ſo ſchalten dieſe ihn im Vorbeigehen, wie er, theilnahmlos in ſeinem Elende verharrend, nicht ſehen koͤnne, was um ihn herum vorgehe. Er vertheidigte ſich, indem ſie voruͤberzogen, und rief ihnen ſorg¬ faͤltig gefuͤgte Worte nach, welche wie ein Lied klangen, und dieſer Klang lag ihm nach dem Erwachen fort und fort im Gehoͤr, indeſſen er ſich wohl noch des Sinnes, aber durchaus nicht mehr der Worte erinnern konnte, oder wenigſtens nur ſo viel, daß ſie wohl an ſich ſinnlos, aber gut gemeint geweſen ſeien. Es reizte ihn aber unwiderſtehlich, die liedartige Rede herzuſtellen oder vielmehr von Neuem abzufaſſen bei wachen Sinnen, und indem er ein altes Bleiſtuͤmpfchen und ein Fetzchen Papier mit Muͤhe zuſammen¬ ſuchte, ſchrieb er, in Takt gerathend und mit den Fingern zaͤhlend, dieſe Strophen auf:

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/273>, abgerufen am 22.11.2024.