eines Lustwaldes, große Ahornbäume, Ulmen und Eichen. Es hatte etwas zu regnen nach¬ gelassen, doch tröpfelte es noch ziemlich, in¬ dessen gegen Abend ein schmaler feuriger Streifen Abendroth auf den Hügeln lag und einen schwa¬ chen Schein auf die Leichensteine warf. Heinrich sank auf eine zierliche Gartenbank unter den Gräbern; denn er vermochte kaum mehr zu stehen. Nun kam ein schlankes weibliches Wesen unter den Bäumen hervor mit raschen leichten Schritten, welches eine schwarz seidene Mantille trug, reiche dunkle Locken lustig im Winde schüt¬ telte, und mit der einen Hand die Mantille über der Brust fest hielt, indeß die andere Hand einen leichten Regenschirm trug, der aber nicht aufge¬ spannt war. Diese sehr anmuthige Gestalt eilte gar wohlgemuth zwischen den Gräbern herum und schien dieselben aufmerksam zu besichtigen, ob die Gewächse von Sturm und Regen nicht gelitten hätten. Hie und da kauerte sie nieder, warf ihr Schirmchen auf den Kiesweg und band eine flatternde Rose frisch auf oder schnitt sich mit einem Scheerchen eine Blume ab, worauf sie
eines Luſtwaldes, große Ahornbaͤume, Ulmen und Eichen. Es hatte etwas zu regnen nach¬ gelaſſen, doch troͤpfelte es noch ziemlich, in¬ deſſen gegen Abend ein ſchmaler feuriger Streifen Abendroth auf den Huͤgeln lag und einen ſchwa¬ chen Schein auf die Leichenſteine warf. Heinrich ſank auf eine zierliche Gartenbank unter den Graͤbern; denn er vermochte kaum mehr zu ſtehen. Nun kam ein ſchlankes weibliches Weſen unter den Baͤumen hervor mit raſchen leichten Schritten, welches eine ſchwarz ſeidene Mantille trug, reiche dunkle Locken luſtig im Winde ſchuͤt¬ telte, und mit der einen Hand die Mantille uͤber der Bruſt feſt hielt, indeß die andere Hand einen leichten Regenſchirm trug, der aber nicht aufge¬ ſpannt war. Dieſe ſehr anmuthige Geſtalt eilte gar wohlgemuth zwiſchen den Graͤbern herum und ſchien dieſelben aufmerkſam zu beſichtigen, ob die Gewaͤchſe von Sturm und Regen nicht gelitten haͤtten. Hie und da kauerte ſie nieder, warf ihr Schirmchen auf den Kiesweg und band eine flatternde Roſe friſch auf oder ſchnitt ſich mit einem Scheerchen eine Blume ab, worauf ſie
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eines Luſtwaldes, große Ahornbaͤume, Ulmen
und Eichen. Es hatte etwas zu regnen nach¬
gelaſſen, doch troͤpfelte es noch ziemlich, in¬
deſſen gegen Abend ein ſchmaler feuriger Streifen
Abendroth auf den Huͤgeln lag und einen ſchwa¬
chen Schein auf die Leichenſteine warf. Heinrich
ſank auf eine zierliche Gartenbank unter den
Graͤbern; denn er vermochte kaum mehr zu
ſtehen. Nun kam ein ſchlankes weibliches Weſen
unter den Baͤumen hervor mit raſchen leichten
Schritten, welches eine ſchwarz ſeidene Mantille
trug, reiche dunkle Locken luſtig im Winde ſchuͤt¬
telte, und mit der einen Hand die Mantille uͤber der
Bruſt feſt hielt, indeß die andere Hand einen
leichten Regenſchirm trug, der aber nicht aufge¬
ſpannt war. Dieſe ſehr anmuthige Geſtalt eilte
gar wohlgemuth zwiſchen den Graͤbern herum
und ſchien dieſelben aufmerkſam zu beſichtigen,
ob die Gewaͤchſe von Sturm und Regen nicht
gelitten haͤtten. Hie und da kauerte ſie nieder,
warf ihr Schirmchen auf den Kiesweg und band
eine flatternde Roſe friſch auf oder ſchnitt ſich
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/308>, abgerufen am 21.11.2024.
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