wieder weiter eilte. Heinrich sah, erschöpft wie er war, diese schöne Erscheinung wie einen Traum vor sich hin schweben und dachte nicht viel dabei, obschon sie ihm einen angenehmen Eindruck machte, als der Küster wieder hinter der Kirche hervorkam und Heinrich abermals anre¬ dete.
"Hier könnt Ihr auch nicht bleiben, guter Freund!" sagte er, "dieser Gottesacker gehört ge¬ wissermaßen zu den herrschaftlichen Gärten, und kein Fremder darf sich da zur Nachtzeit herum¬ treiben."
Heinrich antwortete gar nicht, sondern sah theilnahmlos vor sich hin.
"Nun, hört Ihr nicht? Auf! Steht in Got¬ tes Namen auf, guter Freund!" rief der Küster etwas lauter und rüttelte den Müden an der Schulter, wie man etwa einen Betrunkenen auf¬ muntert. In diesem Augenblicke kam jenes Frauenzimmer zur Stelle und hielt ihren zierli¬ chen Gang an, um dem Handel neugierig zuzu¬ schauen. Diese Neugierde war so kindlich und gutmüthig, und zugleich war die ganze Er¬
wieder weiter eilte. Heinrich ſah, erſchoͤpft wie er war, dieſe ſchoͤne Erſcheinung wie einen Traum vor ſich hin ſchweben und dachte nicht viel dabei, obſchon ſie ihm einen angenehmen Eindruck machte, als der Kuͤſter wieder hinter der Kirche hervorkam und Heinrich abermals anre¬ dete.
»Hier koͤnnt Ihr auch nicht bleiben, guter Freund!« ſagte er, »dieſer Gottesacker gehoͤrt ge¬ wiſſermaßen zu den herrſchaftlichen Gaͤrten, und kein Fremder darf ſich da zur Nachtzeit herum¬ treiben.«
Heinrich antwortete gar nicht, ſondern ſah theilnahmlos vor ſich hin.
»Nun, hoͤrt Ihr nicht? Auf! Steht in Got¬ tes Namen auf, guter Freund!« rief der Kuͤſter etwas lauter und ruͤttelte den Muͤden an der Schulter, wie man etwa einen Betrunkenen auf¬ muntert. In dieſem Augenblicke kam jenes Frauenzimmer zur Stelle und hielt ihren zierli¬ chen Gang an, um dem Handel neugierig zuzu¬ ſchauen. Dieſe Neugierde war ſo kindlich und gutmuͤthig, und zugleich war die ganze Er¬
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wieder weiter eilte. Heinrich ſah, erſchoͤpft wie
er war, dieſe ſchoͤne Erſcheinung wie einen
Traum vor ſich hin ſchweben und dachte nicht
viel dabei, obſchon ſie ihm einen angenehmen
Eindruck machte, als der Kuͤſter wieder hinter der
Kirche hervorkam und Heinrich abermals anre¬
dete.
»Hier koͤnnt Ihr auch nicht bleiben, guter
Freund!« ſagte er, »dieſer Gottesacker gehoͤrt ge¬
wiſſermaßen zu den herrſchaftlichen Gaͤrten, und
kein Fremder darf ſich da zur Nachtzeit herum¬
treiben.«
Heinrich antwortete gar nicht, ſondern ſah
theilnahmlos vor ſich hin.
»Nun, hoͤrt Ihr nicht? Auf! Steht in Got¬
tes Namen auf, guter Freund!« rief der Kuͤſter
etwas lauter und ruͤttelte den Muͤden an der
Schulter, wie man etwa einen Betrunkenen auf¬
muntert. In dieſem Augenblicke kam jenes
Frauenzimmer zur Stelle und hielt ihren zierli¬
chen Gang an, um dem Handel neugierig zuzu¬
ſchauen. Dieſe Neugierde war ſo kindlich und
gutmuͤthig, und zugleich war die ganze Er¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/309>, abgerufen am 22.11.2024.
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