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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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sie sich zu Tische setzten und man sich gegenüber¬
saß, wo Dorothea, die den Männern vorlegte,
mit noch erhöhter vornehmer Freundlichkeit und
Herablassung den Gast nach seinen Wünschen und
Bedürfnissen fragte, fiel ihm dies Wesen auf, das
ihm gestern gar nicht vorhanden geschienen. Es
gefiel ihm aber gar wohl, da er geneigt war, sol¬
chen schönen Geschöpfen nichts übel zu nehmen,
wenn sie nicht gerade zu herzlos waren, und um
sie darin zu bestärken und ihr einen Gefallen zu
thun, sagte er: "Solche Anschaulichkeit und Durch¬
sichtigkeit einer langen Vergangenheit sind doch
eine Art von Concretum, das sich nicht willkür¬
lich vergessen und verwischen läßt. Wenn es ein¬
mal da ist, so ist es da, und man kann sich nicht
verhindern, an dem Vorhandenen seine Freude zu
haben!"

"Gewiß," erwiederte der Graf, "nur ist es thö¬
richt, willkürlich fortsetzen und machen zu wollen,
was unter ganz anderen Verhältnissen und Be¬
dingungen geworden ist. Desnahen nenne ich mich
auch ungenirt noch von so und so, weil diese
Landschaft so heißt und nicht meine Person, welche

ſie ſich zu Tiſche ſetzten und man ſich gegenuͤber¬
ſaß, wo Dorothea, die den Maͤnnern vorlegte,
mit noch erhoͤhter vornehmer Freundlichkeit und
Herablaſſung den Gaſt nach ſeinen Wuͤnſchen und
Beduͤrfniſſen fragte, fiel ihm dies Weſen auf, das
ihm geſtern gar nicht vorhanden geſchienen. Es
gefiel ihm aber gar wohl, da er geneigt war, ſol¬
chen ſchoͤnen Geſchoͤpfen nichts uͤbel zu nehmen,
wenn ſie nicht gerade zu herzlos waren, und um
ſie darin zu beſtaͤrken und ihr einen Gefallen zu
thun, ſagte er: »Solche Anſchaulichkeit und Durch¬
ſichtigkeit einer langen Vergangenheit ſind doch
eine Art von Concretum, das ſich nicht willkuͤr¬
lich vergeſſen und verwiſchen laͤßt. Wenn es ein¬
mal da iſt, ſo iſt es da, und man kann ſich nicht
verhindern, an dem Vorhandenen ſeine Freude zu
haben!«

»Gewiß,« erwiederte der Graf, »nur iſt es thoͤ¬
richt, willkuͤrlich fortſetzen und machen zu wollen,
was unter ganz anderen Verhaͤltniſſen und Be¬
dingungen geworden iſt. Desnahen nenne ich mich
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[344/0354] ſie ſich zu Tiſche ſetzten und man ſich gegenuͤber¬ ſaß, wo Dorothea, die den Maͤnnern vorlegte, mit noch erhoͤhter vornehmer Freundlichkeit und Herablaſſung den Gaſt nach ſeinen Wuͤnſchen und Beduͤrfniſſen fragte, fiel ihm dies Weſen auf, das ihm geſtern gar nicht vorhanden geſchienen. Es gefiel ihm aber gar wohl, da er geneigt war, ſol¬ chen ſchoͤnen Geſchoͤpfen nichts uͤbel zu nehmen, wenn ſie nicht gerade zu herzlos waren, und um ſie darin zu beſtaͤrken und ihr einen Gefallen zu thun, ſagte er: »Solche Anſchaulichkeit und Durch¬ ſichtigkeit einer langen Vergangenheit ſind doch eine Art von Concretum, das ſich nicht willkuͤr¬ lich vergeſſen und verwiſchen laͤßt. Wenn es ein¬ mal da iſt, ſo iſt es da, und man kann ſich nicht verhindern, an dem Vorhandenen ſeine Freude zu haben!« »Gewiß,« erwiederte der Graf, »nur iſt es thoͤ¬ richt, willkuͤrlich fortſetzen und machen zu wollen, was unter ganz anderen Verhaͤltniſſen und Be¬ dingungen geworden iſt. Desnahen nenne ich mich auch ungenirt noch von ſo und ſo, weil dieſe Landſchaft ſo heißt und nicht meine Perſon, welche

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/354>, abgerufen am 22.11.2024.