"Frivolität!" rief der Pfarrer, "immer besser! Was wollen Sie damit sagen?"
"Auf dem Titel," versetzte Heinrich, "benennt der fromme Dichter sein Buch mit dem Zusatz: Geist¬ reiche Sinn- und Schlußreime. Allerdings bedeutet das Wort geistreich im damaligen Sprachgebrauch etwas Anderes als heut zu Tage; wenn wir aber das Büchlein aufmerksam durchgehen, so finden wir, daß es in der That auch im heutigen Sinne etwas allzu geistreich und zu wenig einfach ist, so daß jene Be¬ zeichnung jetzt wie eine ironische, aber richtige Vor¬ bedeutung erscheint. Dann sehen Sie aber die Widmung an, die Dedication an den lieben Gott, worin der Mann seine hübschen Verse Gott dedicirt, indem er ganz die Form nachahmt, selbst im Drucke, in welcher man dazumal großen Herren ein Buch zu widmen pflegte, selbst mit der Unterschrift: Sein Allezeit sterbender Johannes Angelus. Be¬ trachten sie den bitterlich ernsten Gottesmann, den heiligen Augustinus, und gestehen Sie auf¬ richtig, trauen Sie ihm zu, daß er ein Buch, worin er das Herzblut seines religiösen Gefühles
auch jetzt noch im myſtiſchen Lager feſthalten!«
»Frivolitaͤt!« rief der Pfarrer, »immer beſſer! Was wollen Sie damit ſagen?«
»Auf dem Titel,« verſetzte Heinrich, »benennt der fromme Dichter ſein Buch mit dem Zuſatz: Geiſt¬ reiche Sinn- und Schlußreime. Allerdings bedeutet das Wort geiſtreich im damaligen Sprachgebrauch etwas Anderes als heut zu Tage; wenn wir aber das Buͤchlein aufmerkſam durchgehen, ſo finden wir, daß es in der That auch im heutigen Sinne etwas allzu geiſtreich und zu wenig einfach iſt, ſo daß jene Be¬ zeichnung jetzt wie eine ironiſche, aber richtige Vor¬ bedeutung erſcheint. Dann ſehen Sie aber die Widmung an, die Dedication an den lieben Gott, worin der Mann ſeine huͤbſchen Verſe Gott dedicirt, indem er ganz die Form nachahmt, ſelbſt im Drucke, in welcher man dazumal großen Herren ein Buch zu widmen pflegte, ſelbſt mit der Unterſchrift: Sein Allezeit ſterbender Johannes Angelus. Be¬ trachten ſie den bitterlich ernſten Gottesmann, den heiligen Auguſtinus, und geſtehen Sie auf¬ richtig, trauen Sie ihm zu, daß er ein Buch, worin er das Herzblut ſeines religioͤſen Gefuͤhles
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auch jetzt noch im myſtiſchen Lager feſthalten!«
»Frivolitaͤt!« rief der Pfarrer, »immer beſſer!
Was wollen Sie damit ſagen?«
»Auf dem Titel,« verſetzte Heinrich, »benennt der
fromme Dichter ſein Buch mit dem Zuſatz: Geiſt¬
reiche Sinn- und Schlußreime. Allerdings bedeutet
das Wort geiſtreich im damaligen Sprachgebrauch
etwas Anderes als heut zu Tage; wenn wir aber das
Buͤchlein aufmerkſam durchgehen, ſo finden wir, daß
es in der That auch im heutigen Sinne etwas allzu
geiſtreich und zu wenig einfach iſt, ſo daß jene Be¬
zeichnung jetzt wie eine ironiſche, aber richtige Vor¬
bedeutung erſcheint. Dann ſehen Sie aber die
Widmung an, die Dedication an den lieben Gott,
worin der Mann ſeine huͤbſchen Verſe Gott dedicirt,
indem er ganz die Form nachahmt, ſelbſt im Drucke,
in welcher man dazumal großen Herren ein Buch
zu widmen pflegte, ſelbſt mit der Unterſchrift:
Sein Allezeit ſterbender Johannes Angelus. Be¬
trachten ſie den bitterlich ernſten Gottesmann,
den heiligen Auguſtinus, und geſtehen Sie auf¬
richtig, trauen Sie ihm zu, daß er ein Buch,
worin er das Herzblut ſeines religioͤſen Gefuͤhles
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/405>, abgerufen am 24.11.2024.
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