Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse Und mich in Gott, und Gott in mich zusammenfasse.
"Alles dies macht beinahe vollständig den Eindruck, als ob der gute Angelus nur heute zu leben brauchte und er nur einiger veränderter äußerer Schicksale bedürfte, und der kräftige Got¬ tesschauer wäre ein eben so kräftiger und schwung¬ voller Nichtschauer und Feuerbachianer!"
"Das wird mir denn doch zu bunt," schrie der Pfarrer, "aber Sie vergessen nur, daß es zu Scheffler's Zeiten denn doch auch schon Denker, Philosophen und besonders auch Reformatoren gegeben hat, und daß, wenn eine kleinste Ader von Verneinung oder liberaler Humanität in ihm gewesen wäre, er schon vollkommen Ge¬ legenheit gehabt hätte, sie auszubilden!"
"Sie haben Recht!" erwiederte Heinrich, "aber nicht ganz in Ihrem Sinne. Was ihn abgehal¬ ten hätte und wahrscheinlich noch heute abhalten würde, ist der Gran von Frivolität und Geist¬ reichigkeit, mit welcher sein glühender Mysticis¬ mus versetzt ist: diese kleinen Elementchen würden ihn bei aller Energie des Gedankens
Ich ſelbſt bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlaſſe Und mich in Gott, und Gott in mich zuſammenfaſſe.
»Alles dies macht beinahe vollſtaͤndig den Eindruck, als ob der gute Angelus nur heute zu leben brauchte und er nur einiger veraͤnderter aͤußerer Schickſale beduͤrfte, und der kraͤftige Got¬ tesſchauer waͤre ein eben ſo kraͤftiger und ſchwung¬ voller Nichtſchauer und Feuerbachianer!«
»Das wird mir denn doch zu bunt,« ſchrie der Pfarrer, »aber Sie vergeſſen nur, daß es zu Scheffler's Zeiten denn doch auch ſchon Denker, Philoſophen und beſonders auch Reformatoren gegeben hat, und daß, wenn eine kleinſte Ader von Verneinung oder liberaler Humanitaͤt in ihm geweſen waͤre, er ſchon vollkommen Ge¬ legenheit gehabt haͤtte, ſie auszubilden!«
»Sie haben Recht!« erwiederte Heinrich, »aber nicht ganz in Ihrem Sinne. Was ihn abgehal¬ ten haͤtte und wahrſcheinlich noch heute abhalten wuͤrde, iſt der Gran von Frivolitaͤt und Geiſt¬ reichigkeit, mit welcher ſein gluͤhender Myſticis¬ mus verſetzt iſt: dieſe kleinen Elementchen wuͤrden ihn bei aller Energie des Gedankens
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Ich ſelbſt bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlaſſe
Und mich in Gott, und Gott in mich zuſammenfaſſe.
»Alles dies macht beinahe vollſtaͤndig den
Eindruck, als ob der gute Angelus nur heute zu
leben brauchte und er nur einiger veraͤnderter
aͤußerer Schickſale beduͤrfte, und der kraͤftige Got¬
tesſchauer waͤre ein eben ſo kraͤftiger und ſchwung¬
voller Nichtſchauer und Feuerbachianer!«
»Das wird mir denn doch zu bunt,« ſchrie
der Pfarrer, »aber Sie vergeſſen nur, daß es zu
Scheffler's Zeiten denn doch auch ſchon Denker,
Philoſophen und beſonders auch Reformatoren
gegeben hat, und daß, wenn eine kleinſte Ader
von Verneinung oder liberaler Humanitaͤt in
ihm geweſen waͤre, er ſchon vollkommen Ge¬
legenheit gehabt haͤtte, ſie auszubilden!«
»Sie haben Recht!« erwiederte Heinrich, »aber
nicht ganz in Ihrem Sinne. Was ihn abgehal¬
ten haͤtte und wahrſcheinlich noch heute abhalten
wuͤrde, iſt der Gran von Frivolitaͤt und Geiſt¬
reichigkeit, mit welcher ſein gluͤhender Myſticis¬
mus verſetzt iſt: dieſe kleinen Elementchen
wuͤrden ihn bei aller Energie des Gedankens
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/404>, abgerufen am 24.11.2024.
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