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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Deckel und trieb die Nägel mit zornigen Schlä¬
gen in das Holz, daß das Haus davon wider¬
hallte; denn mit jedem Nagel, den er einschlug,
nahm er sich gewisser vor, am nächsten Tage fort¬
zugehen, und so dünkte es ihn, als nagle er sei¬
nen eigenen Sarg zu. Aber nach jedem Schlage
schallte ein klangreiches Gelächter oder ein fröhlicher
Triller aus den oberen Gängen des Hauses, die
Mädchen jagten hin und her und schlugen die
Thüren auf und zu. Dies bewirkte, daß Hein¬
rich auf sein Zimmer ging und gleich auch den
Reisekoffer packte. Als er damit fertig war, ging
er höchst schwermüthig, aber gefaßt, in's Freie
und nach dem Kirchhofe; dort setzte er sich auf
eine Bank und hoffte, Dortchen werde etwa her¬
kommen und er wenigstens einige Minuten noch
allein und ohne Bosheit bei ihr sitzen können, um
sie noch einmal recht anzusehen. Sie kam auch
richtig nach einer Viertelstunde herangerauscht,
aber von der Gärtnerstochter und dem großen
Haushunde begleitet. Da entfernte er sich eiligst,
glaubend, sie hatten ihn noch nicht gesehen, und
lief hinter die Kirche. Als er dort die Mädchen

Deckel und trieb die Naͤgel mit zornigen Schlaͤ¬
gen in das Holz, daß das Haus davon wider¬
hallte; denn mit jedem Nagel, den er einſchlug,
nahm er ſich gewiſſer vor, am naͤchſten Tage fort¬
zugehen, und ſo duͤnkte es ihn, als nagle er ſei¬
nen eigenen Sarg zu. Aber nach jedem Schlage
ſchallte ein klangreiches Gelaͤchter oder ein froͤhlicher
Triller aus den oberen Gaͤngen des Hauſes, die
Maͤdchen jagten hin und her und ſchlugen die
Thuͤren auf und zu. Dies bewirkte, daß Hein¬
rich auf ſein Zimmer ging und gleich auch den
Reiſekoffer packte. Als er damit fertig war, ging
er hoͤchſt ſchwermuͤthig, aber gefaßt, in's Freie
und nach dem Kirchhofe; dort ſetzte er ſich auf
eine Bank und hoffte, Dortchen werde etwa her¬
kommen und er wenigſtens einige Minuten noch
allein und ohne Bosheit bei ihr ſitzen koͤnnen, um
ſie noch einmal recht anzuſehen. Sie kam auch
richtig nach einer Viertelſtunde herangerauſcht,
aber von der Gaͤrtnerstochter und dem großen
Haushunde begleitet. Da entfernte er ſich eiligſt,
glaubend, ſie hatten ihn noch nicht geſehen, und
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[422/0432] Deckel und trieb die Naͤgel mit zornigen Schlaͤ¬ gen in das Holz, daß das Haus davon wider¬ hallte; denn mit jedem Nagel, den er einſchlug, nahm er ſich gewiſſer vor, am naͤchſten Tage fort¬ zugehen, und ſo duͤnkte es ihn, als nagle er ſei¬ nen eigenen Sarg zu. Aber nach jedem Schlage ſchallte ein klangreiches Gelaͤchter oder ein froͤhlicher Triller aus den oberen Gaͤngen des Hauſes, die Maͤdchen jagten hin und her und ſchlugen die Thuͤren auf und zu. Dies bewirkte, daß Hein¬ rich auf ſein Zimmer ging und gleich auch den Reiſekoffer packte. Als er damit fertig war, ging er hoͤchſt ſchwermuͤthig, aber gefaßt, in's Freie und nach dem Kirchhofe; dort ſetzte er ſich auf eine Bank und hoffte, Dortchen werde etwa her¬ kommen und er wenigſtens einige Minuten noch allein und ohne Bosheit bei ihr ſitzen koͤnnen, um ſie noch einmal recht anzuſehen. Sie kam auch richtig nach einer Viertelſtunde herangerauſcht, aber von der Gaͤrtnerstochter und dem großen Haushunde begleitet. Da entfernte er ſich eiligſt, glaubend, ſie hatten ihn noch nicht geſehen, und lief hinter die Kirche. Als er dort die Maͤdchen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/432>, abgerufen am 27.11.2024.