Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie drückte dem zitternden Apollönchen die Herz¬
büchse in die Hände; aber dieses schrie ängstlich
auf, ließ die Büchse fallen, und Dortchen fing
sie gewandt auf und klapperte abermals damit.

Heinrich, von dessen Gegenwart sie keine Ah¬
nung hatten, sah ganz erstaunt zu. "Wart, du
Teufel!" dachte er, "dich will ich schön erschre¬
cken!" Er wischte sich die Augen trocken, stieß
einen hohlen Seufzer aus und sprach mit trauri¬
ger Zitterstimme, welche er gar nicht zu verstellen
brauchte, und in altem Französisch: "Dame, s'il
vous plaist
, laissez cestuy cueur en repos!"
Erbleichend und mit einem Doppelschrei flohen
die Mädchen aus der Sakristei und Kirche wie
besessen, und zwar Dortchen voraus, welche mit
einem elastischen Satz über Schwelle und Stufen
der Kirchenthür hinaussprang, schneebleich, aber
immer noch lachend, ihr Kleid zusammennahm
und über den Kirchhof wegeilte, bis sie eine Gar¬
tenbank fand, auf welche sie sich warf. Bebend
lief das erschreckte Apollönchen hinter ihr drein,
und flüchtete sich an ihre Seite, sich kaum fassend.
Dortchen, deren Gesicht fast so weiß war, wie

Sie druͤckte dem zitternden Apolloͤnchen die Herz¬
buͤchſe in die Haͤnde; aber dieſes ſchrie aͤngſtlich
auf, ließ die Buͤchſe fallen, und Dortchen fing
ſie gewandt auf und klapperte abermals damit.

Heinrich, von deſſen Gegenwart ſie keine Ah¬
nung hatten, ſah ganz erſtaunt zu. »Wart, du
Teufel!« dachte er, »dich will ich ſchoͤn erſchre¬
cken!« Er wiſchte ſich die Augen trocken, ſtieß
einen hohlen Seufzer aus und ſprach mit trauri¬
ger Zitterſtimme, welche er gar nicht zu verſtellen
brauchte, und in altem Franzoͤſiſch: »Dame, s'il
vous plaist
, laissez cestuy cueur en repos
Erbleichend und mit einem Doppelſchrei flohen
die Maͤdchen aus der Sakriſtei und Kirche wie
beſeſſen, und zwar Dortchen voraus, welche mit
einem elaſtiſchen Satz uͤber Schwelle und Stufen
der Kirchenthuͤr hinausſprang, ſchneebleich, aber
immer noch lachend, ihr Kleid zuſammennahm
und uͤber den Kirchhof wegeilte, bis ſie eine Gar¬
tenbank fand, auf welche ſie ſich warf. Bebend
lief das erſchreckte Apolloͤnchen hinter ihr drein,
und fluͤchtete ſich an ihre Seite, ſich kaum faſſend.
Dortchen, deren Geſicht faſt ſo weiß war, wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0441" n="431"/>
Sie dru&#x0364;ckte dem zitternden Apollo&#x0364;nchen die Herz¬<lb/>
bu&#x0364;ch&#x017F;e in die Ha&#x0364;nde; aber die&#x017F;es &#x017F;chrie a&#x0364;ng&#x017F;tlich<lb/>
auf, ließ die Bu&#x0364;ch&#x017F;e fallen, und Dortchen fing<lb/>
&#x017F;ie gewandt auf und klapperte abermals damit.</p><lb/>
        <p>Heinrich, von de&#x017F;&#x017F;en Gegenwart &#x017F;ie keine Ah¬<lb/>
nung hatten, &#x017F;ah ganz er&#x017F;taunt zu. »Wart, du<lb/>
Teufel!« dachte er, »dich will ich &#x017F;cho&#x0364;n er&#x017F;chre¬<lb/>
cken!« Er wi&#x017F;chte &#x017F;ich die Augen trocken, &#x017F;tieß<lb/>
einen hohlen Seufzer aus und &#x017F;prach mit trauri¬<lb/>
ger Zitter&#x017F;timme, welche er gar nicht zu ver&#x017F;tellen<lb/>
brauchte, und in altem Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch: »<hi rendition="#aq">Dame</hi>, <hi rendition="#aq">s'il<lb/>
vous plaist</hi>, <hi rendition="#aq">laissez cestuy cueur en repos</hi><lb/>
Erbleichend und mit einem Doppel&#x017F;chrei flohen<lb/>
die Ma&#x0364;dchen aus der Sakri&#x017F;tei und Kirche wie<lb/>
be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en, und zwar Dortchen voraus, welche mit<lb/>
einem ela&#x017F;ti&#x017F;chen Satz u&#x0364;ber Schwelle und Stufen<lb/>
der Kirchenthu&#x0364;r hinaus&#x017F;prang, &#x017F;chneebleich, aber<lb/>
immer noch lachend, ihr Kleid zu&#x017F;ammennahm<lb/>
und u&#x0364;ber den Kirchhof wegeilte, bis &#x017F;ie eine Gar¬<lb/>
tenbank fand, auf welche &#x017F;ie &#x017F;ich warf. Bebend<lb/>
lief das er&#x017F;chreckte Apollo&#x0364;nchen hinter ihr drein,<lb/>
und flu&#x0364;chtete &#x017F;ich an ihre Seite, &#x017F;ich kaum fa&#x017F;&#x017F;end.<lb/>
Dortchen, deren Ge&#x017F;icht fa&#x017F;t &#x017F;o weiß war, wie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[431/0441] Sie druͤckte dem zitternden Apolloͤnchen die Herz¬ buͤchſe in die Haͤnde; aber dieſes ſchrie aͤngſtlich auf, ließ die Buͤchſe fallen, und Dortchen fing ſie gewandt auf und klapperte abermals damit. Heinrich, von deſſen Gegenwart ſie keine Ah¬ nung hatten, ſah ganz erſtaunt zu. »Wart, du Teufel!« dachte er, »dich will ich ſchoͤn erſchre¬ cken!« Er wiſchte ſich die Augen trocken, ſtieß einen hohlen Seufzer aus und ſprach mit trauri¬ ger Zitterſtimme, welche er gar nicht zu verſtellen brauchte, und in altem Franzoͤſiſch: »Dame, s'il vous plaist, laissez cestuy cueur en repos!« Erbleichend und mit einem Doppelſchrei flohen die Maͤdchen aus der Sakriſtei und Kirche wie beſeſſen, und zwar Dortchen voraus, welche mit einem elaſtiſchen Satz uͤber Schwelle und Stufen der Kirchenthuͤr hinausſprang, ſchneebleich, aber immer noch lachend, ihr Kleid zuſammennahm und uͤber den Kirchhof wegeilte, bis ſie eine Gar¬ tenbank fand, auf welche ſie ſich warf. Bebend lief das erſchreckte Apolloͤnchen hinter ihr drein, und fluͤchtete ſich an ihre Seite, ſich kaum faſſend. Dortchen, deren Geſicht faſt ſo weiß war, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/441
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/441>, abgerufen am 28.11.2024.