Endlich aber sagte der Graf: "Nun, wie ist Ih¬ nen zu Muth? Wie nehmen Sie diesen Brief auf!" Ohne Verzug erwiederte Heinrich: "Ganz wie er geschrieben ist ! Ich würde ihm eben so geschrieben haben, wenn Ferdinand mich getödtet hätte! Uebrigens vermuthe ich, daß bei dieser Gelegenheit der letzte Rest von Willkürlichkeit und Narrheit aus mir schwindet."
Noch am gleichen Tage wurde er durch eine gerichtliche Behörde, die schon lange nach ihm gefahndet, ausfindig gemacht und hinbeschieden. Als er dort war und sich als rechtmäßiges Ich ausgewiesen hatte, ward ihm eröffnet, wie jenes todte Trödelmännchen ihn zu seinem Erben ein¬ gesetzt habe. Verwundert hörte Heinrich die Vor¬ lesung des Testamentes an, nach welchem der fahrende Kram des Verstorbenen gerichtlich ver¬ kauft, und erst dann dem eingesetzten Erben der letzte Wille bekannt gemacht und die vorhandene Baarschaft eingehändigt werden mußte. Man hatte aber in einem alten silbernen Becher von mächtiger Größe, der mit einem Deckel versehen war, einen ganzen Schatz in Gold und öffentli¬
Endlich aber ſagte der Graf: »Nun, wie iſt Ih¬ nen zu Muth? Wie nehmen Sie dieſen Brief auf!« Ohne Verzug erwiederte Heinrich: »Ganz wie er geſchrieben iſt ! Ich wuͤrde ihm eben ſo geſchrieben haben, wenn Ferdinand mich getoͤdtet haͤtte! Uebrigens vermuthe ich, daß bei dieſer Gelegenheit der letzte Reſt von Willkuͤrlichkeit und Narrheit aus mir ſchwindet.«
Noch am gleichen Tage wurde er durch eine gerichtliche Behoͤrde, die ſchon lange nach ihm gefahndet, ausfindig gemacht und hinbeſchieden. Als er dort war und ſich als rechtmaͤßiges Ich ausgewieſen hatte, ward ihm eroͤffnet, wie jenes todte Troͤdelmaͤnnchen ihn zu ſeinem Erben ein¬ geſetzt habe. Verwundert hoͤrte Heinrich die Vor¬ leſung des Teſtamentes an, nach welchem der fahrende Kram des Verſtorbenen gerichtlich ver¬ kauft, und erſt dann dem eingeſetzten Erben der letzte Wille bekannt gemacht und die vorhandene Baarſchaft eingehaͤndigt werden mußte. Man hatte aber in einem alten ſilbernen Becher von maͤchtiger Groͤße, der mit einem Deckel verſehen war, einen ganzen Schatz in Gold und oͤffentli¬
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Endlich aber ſagte der Graf: »Nun, wie iſt Ih¬
nen zu Muth? Wie nehmen Sie dieſen Brief
auf!« Ohne Verzug erwiederte Heinrich: »Ganz
wie er geſchrieben iſt ! Ich wuͤrde ihm eben ſo
geſchrieben haben, wenn Ferdinand mich getoͤdtet
haͤtte! Uebrigens vermuthe ich, daß bei dieſer
Gelegenheit der letzte Reſt von Willkuͤrlichkeit und
Narrheit aus mir ſchwindet.«
Noch am gleichen Tage wurde er durch eine
gerichtliche Behoͤrde, die ſchon lange nach ihm
gefahndet, ausfindig gemacht und hinbeſchieden.
Als er dort war und ſich als rechtmaͤßiges Ich
ausgewieſen hatte, ward ihm eroͤffnet, wie jenes
todte Troͤdelmaͤnnchen ihn zu ſeinem Erben ein¬
geſetzt habe. Verwundert hoͤrte Heinrich die Vor¬
leſung des Teſtamentes an, nach welchem der
fahrende Kram des Verſtorbenen gerichtlich ver¬
kauft, und erſt dann dem eingeſetzten Erben der
letzte Wille bekannt gemacht und die vorhandene
Baarſchaft eingehaͤndigt werden mußte. Man
hatte aber in einem alten ſilbernen Becher von
maͤchtiger Groͤße, der mit einem Deckel verſehen
war, einen ganzen Schatz in Gold und oͤffentli¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/452>, abgerufen am 29.11.2024.
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