den verschollenen Sohn. Dies verhehlten ihm die guten Leute nicht, weil sie ein wenig Bitterkeit ihm für zuträglich hielten und dachten, es könne ihm, da er nun in gutem Gedeihen begriffen sei, nicht schaden, etwas gekränkt zu werden, damit der Ernst um so länger vorhalte und er nun ein gründlich guter Bürgersmann werde.
So war nun der schöne Spiegel, welcher sein Volk wiederspiegeln wollte, zerschlagen und der Einzelne, welcher an der Mehrheit mitwachsen wollte, gebrochen. Denn da er die unmittelbare Lebensquelle, welche ihn mit seinem Volke ver¬ band, vernichtet, so hatte er kein Recht und keine Ehre, unter diesem Volke mitwirken zu wollen, nach dem Worte: Wer die Welt will verbessern helfen, kehre erst vor seiner Thür.
Ungeachtet des Widerspruches seiner Gast¬ freunde, suchte er die Wohnung noch auf, in wel¬ cher die Mutter gestorben, ließ sich dieselbe über¬ geben und brachte die Nacht darin zu, im Dun¬ keln sitzend. Wenn ihr bloßer durch ihn verschul¬ deter Tod sein äußeres Leben und Wirken, auf das er nun alle Hoffnung gesetzt hatte, fortan
den verſchollenen Sohn. Dies verhehlten ihm die guten Leute nicht, weil ſie ein wenig Bitterkeit ihm fuͤr zutraͤglich hielten und dachten, es koͤnne ihm, da er nun in gutem Gedeihen begriffen ſei, nicht ſchaden, etwas gekraͤnkt zu werden, damit der Ernſt um ſo laͤnger vorhalte und er nun ein gruͤndlich guter Buͤrgersmann werde.
So war nun der ſchoͤne Spiegel, welcher ſein Volk wiederſpiegeln wollte, zerſchlagen und der Einzelne, welcher an der Mehrheit mitwachſen wollte, gebrochen. Denn da er die unmittelbare Lebensquelle, welche ihn mit ſeinem Volke ver¬ band, vernichtet, ſo hatte er kein Recht und keine Ehre, unter dieſem Volke mitwirken zu wollen, nach dem Worte: Wer die Welt will verbeſſern helfen, kehre erſt vor ſeiner Thuͤr.
Ungeachtet des Widerſpruches ſeiner Gaſt¬ freunde, ſuchte er die Wohnung noch auf, in wel¬ cher die Mutter geſtorben, ließ ſich dieſelbe uͤber¬ geben und brachte die Nacht darin zu, im Dun¬ keln ſitzend. Wenn ihr bloßer durch ihn verſchul¬ deter Tod ſein aͤußeres Leben und Wirken, auf das er nun alle Hoffnung geſetzt hatte, fortan
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den verſchollenen Sohn. Dies verhehlten ihm die
guten Leute nicht, weil ſie ein wenig Bitterkeit
ihm fuͤr zutraͤglich hielten und dachten, es koͤnne
ihm, da er nun in gutem Gedeihen begriffen ſei,
nicht ſchaden, etwas gekraͤnkt zu werden, damit
der Ernſt um ſo laͤnger vorhalte und er nun ein
gruͤndlich guter Buͤrgersmann werde.
So war nun der ſchoͤne Spiegel, welcher ſein
Volk wiederſpiegeln wollte, zerſchlagen und der
Einzelne, welcher an der Mehrheit mitwachſen
wollte, gebrochen. Denn da er die unmittelbare
Lebensquelle, welche ihn mit ſeinem Volke ver¬
band, vernichtet, ſo hatte er kein Recht und keine
Ehre, unter dieſem Volke mitwirken zu wollen,
nach dem Worte: Wer die Welt will verbeſſern
helfen, kehre erſt vor ſeiner Thuͤr.
Ungeachtet des Widerſpruches ſeiner Gaſt¬
freunde, ſuchte er die Wohnung noch auf, in wel¬
cher die Mutter geſtorben, ließ ſich dieſelbe uͤber¬
geben und brachte die Nacht darin zu, im Dun¬
keln ſitzend. Wenn ihr bloßer durch ihn verſchul¬
deter Tod ſein aͤußeres Leben und Wirken, auf
das er nun alle Hoffnung geſetzt hatte, fortan
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/484>, abgerufen am 04.12.2024.
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