Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.eine Lampe tragend, und auf das Lärmen und Schreien Verachtungsvoll schaute sie auf den anrückenden Ganz verblüfft kratzte Vitalis hinter den Ohren, eine Lampe tragend, und auf das Lärmen und Schreien Verachtungsvoll ſchaute ſie auf den anrückenden Ganz verblüfft kratzte Vitalis hinter den Ohren, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0104" n="90"/> eine Lampe tragend, und auf das Lärmen und Schreien<lb/> horchte. Es war eine ungewöhnlich große und feſte<lb/> Geſtalt mit ſchönen großen aber trotzigen Geſichtszügen,<lb/> um welche ein röthliches Haar in reichen wilden Wellen<lb/> gleich einer Löwenmähne flatterte.</p><lb/> <p>Verachtungsvoll ſchaute ſie auf den anrückenden<lb/> Vitalis herab und ſagte: „Wohin willſt du?“ „Zu<lb/> dir, mein Täubchen!“ antwortete er, „haſt du nie<lb/> vom zärtlichen Mönch Vitalis gehört, vom luſtigen<lb/> Vitalis?“ Allein ſie verſetzte barſch, indem ſie die<lb/> Treppe ſperrte mit ihrer gewaltigen Figur: „Haſt<lb/> du Geld, Mönch?“ Verdutzt ſagte er: „Mönche tragen<lb/> nie Geld mit ſich!“ „So trolle dich deines Weges,“<lb/> rief ſie, „oder ich laſſe dich mit Feuerbränden aus dem<lb/> Hauſe peitſchen!“</p><lb/> <p>Ganz verblüfft kratzte Vitalis hinter den Ohren,<lb/> da er dieſen Fall noch nicht bedacht hatte; denn die<lb/> Geſchöpfe, die er bisanhin bekehrt, hatten dann natür¬<lb/> licherweiſe nicht mehr an einen Sündenlohn gedacht,<lb/> und die Unbekehrten begnügten ſich, ihn mit ſchnöden<lb/> Worten für die koſtbare Zeit, um die er ſie gebracht,<lb/> zu ſtrafen. Hier aber konnte er gar nicht in's Innere<lb/> gelangen, um ſeine fromme That zu beginnen; und<lb/> doch reizte es ihn über alle Maßen, gerade dieſe roth¬<lb/> ſchimmernde Satanstochter zu bändigen, weil große<lb/> ſchöne Menſchenbilder immer wieder die Sinne ver¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [90/0104]
eine Lampe tragend, und auf das Lärmen und Schreien
horchte. Es war eine ungewöhnlich große und feſte
Geſtalt mit ſchönen großen aber trotzigen Geſichtszügen,
um welche ein röthliches Haar in reichen wilden Wellen
gleich einer Löwenmähne flatterte.
Verachtungsvoll ſchaute ſie auf den anrückenden
Vitalis herab und ſagte: „Wohin willſt du?“ „Zu
dir, mein Täubchen!“ antwortete er, „haſt du nie
vom zärtlichen Mönch Vitalis gehört, vom luſtigen
Vitalis?“ Allein ſie verſetzte barſch, indem ſie die
Treppe ſperrte mit ihrer gewaltigen Figur: „Haſt
du Geld, Mönch?“ Verdutzt ſagte er: „Mönche tragen
nie Geld mit ſich!“ „So trolle dich deines Weges,“
rief ſie, „oder ich laſſe dich mit Feuerbränden aus dem
Hauſe peitſchen!“
Ganz verblüfft kratzte Vitalis hinter den Ohren,
da er dieſen Fall noch nicht bedacht hatte; denn die
Geſchöpfe, die er bisanhin bekehrt, hatten dann natür¬
licherweiſe nicht mehr an einen Sündenlohn gedacht,
und die Unbekehrten begnügten ſich, ihn mit ſchnöden
Worten für die koſtbare Zeit, um die er ſie gebracht,
zu ſtrafen. Hier aber konnte er gar nicht in's Innere
gelangen, um ſeine fromme That zu beginnen; und
doch reizte es ihn über alle Maßen, gerade dieſe roth¬
ſchimmernde Satanstochter zu bändigen, weil große
ſchöne Menſchenbilder immer wieder die Sinne ver¬
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