Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.lichkeiten versehen. Ein fein einschmeichelnder Blu¬ "Du bist verwundert, schönster Mönch!" begann lichkeiten verſehen. Ein fein einſchmeichelnder Blu¬ „Du biſt verwundert, ſchönſter Mönch!“ begann <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0128" n="114"/> lichkeiten verſehen. Ein fein einſchmeichelnder Blu¬<lb/> menduft erfüllte den Raum und ſtimmte zu einer ge¬<lb/> wiſſen ſittigen Weltlichkeit; auf einem blühweißen<lb/> Ruhebett, an deſſen Seide kein unordentliches Fält¬<lb/> chen ſichtbar war, ſaß Jole herrlich geſchmückt, in<lb/> ſüß bekümmerter Melancholie, gleich einem ſpintiſiren¬<lb/> den Engel. Unter dem ſchönfaltigen Bruſtkleide wogte<lb/> es ſo rauh, wie der Sturm in einem Milchbecher,<lb/> und ſo ſchön die weißen Arme erglänzten, die ſie<lb/> unter der Bruſt übereinander gelegt hatte, ſo ſah<lb/> doch all' dieſer Reiz ſo geſetzlich und erlaubt in die<lb/> Welt, daß Vitaliſens gewohnte Redekunſt in ſeinem<lb/> Halſe ſtecken blieb.</p><lb/> <p>„Du biſt verwundert, ſchönſter Mönch!“ begann<lb/> Jole, „dieſen Staat und Putz hier zu finden!<lb/> Wiſſe, dies iſt der Abſchied, den ich von der Welt<lb/> zu nehmen gedenke, und damit will ich zugleich die<lb/> Neigung ablegen, die ich leider zu dir empfinden<lb/> muß. Allein dazu ſollſt du mir helfen nach deinem<lb/> beſten Vermögen und auf die Art, wie ich mir aus¬<lb/> gedacht habe und wie ich von dir verlange. Wenn<lb/> du nämlich in dieſem Gewande und als geiſtlicher<lb/> Mann zu mir ſprichſt, ſo iſt das immer das Gleiche,<lb/> und das Gebaren eines Klerikers vermag mich nicht<lb/> zu überzeugen, da ich der Welt angehöre. Ich kann<lb/> nicht durch einen Mönch von der Liebe geheilt wer¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [114/0128]
lichkeiten verſehen. Ein fein einſchmeichelnder Blu¬
menduft erfüllte den Raum und ſtimmte zu einer ge¬
wiſſen ſittigen Weltlichkeit; auf einem blühweißen
Ruhebett, an deſſen Seide kein unordentliches Fält¬
chen ſichtbar war, ſaß Jole herrlich geſchmückt, in
ſüß bekümmerter Melancholie, gleich einem ſpintiſiren¬
den Engel. Unter dem ſchönfaltigen Bruſtkleide wogte
es ſo rauh, wie der Sturm in einem Milchbecher,
und ſo ſchön die weißen Arme erglänzten, die ſie
unter der Bruſt übereinander gelegt hatte, ſo ſah
doch all' dieſer Reiz ſo geſetzlich und erlaubt in die
Welt, daß Vitaliſens gewohnte Redekunſt in ſeinem
Halſe ſtecken blieb.
„Du biſt verwundert, ſchönſter Mönch!“ begann
Jole, „dieſen Staat und Putz hier zu finden!
Wiſſe, dies iſt der Abſchied, den ich von der Welt
zu nehmen gedenke, und damit will ich zugleich die
Neigung ablegen, die ich leider zu dir empfinden
muß. Allein dazu ſollſt du mir helfen nach deinem
beſten Vermögen und auf die Art, wie ich mir aus¬
gedacht habe und wie ich von dir verlange. Wenn
du nämlich in dieſem Gewande und als geiſtlicher
Mann zu mir ſprichſt, ſo iſt das immer das Gleiche,
und das Gebaren eines Klerikers vermag mich nicht
zu überzeugen, da ich der Welt angehöre. Ich kann
nicht durch einen Mönch von der Liebe geheilt wer¬
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