Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.Sie vergaß sich dabei so sehr, daß sie blos zu träu¬ Ueber alles dies sich zu wundern, fand Musa nicht Sie vergaß ſich dabei ſo ſehr, daß ſie blos zu träu¬ Ueber alles dies ſich zu wundern, fand Muſa nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0154" n="140"/> Sie vergaß ſich dabei ſo ſehr, daß ſie blos zu träu¬<lb/> men wähnte, als ſie ſah, wie ein ältlicher aber ſchöner<lb/> Herr ihr entgegen tanzte und ihre Figuren ſo gewandt<lb/> ergänzte, daß beide zuſammen den kunſtgerechteſten<lb/> Tanz begingen. Der Herr trug ein purpurnes Königs¬<lb/> kleid, eine goldene Krone auf dem Kopf und einen<lb/> glänzend ſchwarzen gelockten Bart, welcher vom Silber¬<lb/> reif der Jahre wie von einem fernen Sternenſchein<lb/> überhaucht war. Dazu ertönte eine Muſik vom Chore<lb/> her, weil ein halbes Dutzend kleiner Engel auf der<lb/> Brüſtung deſſelben ſtand oder ſaß, die dicken runden<lb/> Beinchen darüber hinunterhängen ließ und die ver¬<lb/> ſchiedenen Inſtrumente handhabte oder blies. Dabei<lb/> waren die Knirpſe ganz gemüthlich und praktiſch und<lb/> ließen ſich die Notenhefte von ebenſoviel ſteinernen<lb/> Engelsbildern halten, welche ſich als Zierrath auf dem<lb/> Chorgeländer fanden; nur der Kleinſte, ein paus¬<lb/> bäckiger Pfeifenbläſer, machte eine Ausnahme, indem<lb/> er die Beine übereinander ſchlug und das Notenblatt<lb/> mit den roſigen Zehen zu halten wußte. Auch war<lb/> der am eifrigſten: die Uebrigen baumelten mit den<lb/> Füßen, dehnten, bald dieſer, bald jener, kniſternd die<lb/> Schwungfedern aus, daß die Farben derſelben ſchim¬<lb/> merten wie Taubenhälſe, und neckten einander wäh¬<lb/> rend des Spieles.</p><lb/> <p>Ueber alles dies ſich zu wundern, fand Muſa nicht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [140/0154]
Sie vergaß ſich dabei ſo ſehr, daß ſie blos zu träu¬
men wähnte, als ſie ſah, wie ein ältlicher aber ſchöner
Herr ihr entgegen tanzte und ihre Figuren ſo gewandt
ergänzte, daß beide zuſammen den kunſtgerechteſten
Tanz begingen. Der Herr trug ein purpurnes Königs¬
kleid, eine goldene Krone auf dem Kopf und einen
glänzend ſchwarzen gelockten Bart, welcher vom Silber¬
reif der Jahre wie von einem fernen Sternenſchein
überhaucht war. Dazu ertönte eine Muſik vom Chore
her, weil ein halbes Dutzend kleiner Engel auf der
Brüſtung deſſelben ſtand oder ſaß, die dicken runden
Beinchen darüber hinunterhängen ließ und die ver¬
ſchiedenen Inſtrumente handhabte oder blies. Dabei
waren die Knirpſe ganz gemüthlich und praktiſch und
ließen ſich die Notenhefte von ebenſoviel ſteinernen
Engelsbildern halten, welche ſich als Zierrath auf dem
Chorgeländer fanden; nur der Kleinſte, ein paus¬
bäckiger Pfeifenbläſer, machte eine Ausnahme, indem
er die Beine übereinander ſchlug und das Notenblatt
mit den roſigen Zehen zu halten wußte. Auch war
der am eifrigſten: die Uebrigen baumelten mit den
Füßen, dehnten, bald dieſer, bald jener, kniſternd die
Schwungfedern aus, daß die Farben derſelben ſchim¬
merten wie Taubenhälſe, und neckten einander wäh¬
rend des Spieles.
Ueber alles dies ſich zu wundern, fand Muſa nicht
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