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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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an ihrer Seite Platz genommen; dann ergriff sie seine
beiden weißen Hände, drückte ihre Stirn darauf und
bedeckte sie mit Küssen. Eugenia, welche von ihren
anderweitigen Gedanken eingenommen, nicht auf das
unheilige Aussehen des Weibes geachtet hatte und
ihr Gebahren für Demuth und geistliche Hingebung
hielt, ließ sie gewähren, und dadurch aufgemuntert,
schlang die Heidin ihre Arme um Eugenias Hals,
den schönsten jungen Mönch zu umarmen wähnend.
Kurz, ehe der sich's versah, fand er sich von
der leidenschafterfüllten Person umklammert und
fühlte seinen Mund von einem Regen der heftigsten
Küsse getroffen. Ganz betäubt erwachte endlich
Eugenia aus ihrer Zerstreuung; doch dauerte es Minu¬
ten bis sie sich aus der wilden Umhalsung losmachen
und aufrichten konnte.

Sogleich aber begann die Zunge des heidnischen
Satans sich zu rühren; in einem Sturm von Worten
that die Teufelin dem entsetzten Abt ihre Liebe und
Sehnsucht kund und suchte ihm auf jegliche Art zu
beweisen, daß es die Pflicht seiner Schönheit und
Jugend sei, diese Sehnsucht zu stillen, und daß er zu
nichts anderem da sei. Dabei ließ sie es an neuen
Angriffen und zärtlichen Verlockungen nicht fehlen, so
daß Eugenia sich kaum zu erwehren wußte, endlich
aber sich entrüstet zusammenraffte und mit blitzenden

Keller, Sieben Legenden. 2

an ihrer Seite Platz genommen; dann ergriff ſie ſeine
beiden weißen Hände, drückte ihre Stirn darauf und
bedeckte ſie mit Küſſen. Eugenia, welche von ihren
anderweitigen Gedanken eingenommen, nicht auf das
unheilige Ausſehen des Weibes geachtet hatte und
ihr Gebahren für Demuth und geiſtliche Hingebung
hielt, ließ ſie gewähren, und dadurch aufgemuntert,
ſchlang die Heidin ihre Arme um Eugenias Hals,
den ſchönſten jungen Mönch zu umarmen wähnend.
Kurz, ehe der ſich's verſah, fand er ſich von
der leidenſchafterfüllten Perſon umklammert und
fühlte ſeinen Mund von einem Regen der heftigſten
Küſſe getroffen. Ganz betäubt erwachte endlich
Eugenia aus ihrer Zerſtreuung; doch dauerte es Minu¬
ten bis ſie ſich aus der wilden Umhalſung losmachen
und aufrichten konnte.

Sogleich aber begann die Zunge des heidniſchen
Satans ſich zu rühren; in einem Sturm von Worten
that die Teufelin dem entſetzten Abt ihre Liebe und
Sehnſucht kund und ſuchte ihm auf jegliche Art zu
beweiſen, daß es die Pflicht ſeiner Schönheit und
Jugend ſei, dieſe Sehnſucht zu ſtillen, und daß er zu
nichts anderem da ſei. Dabei ließ ſie es an neuen
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Keller, Sieben Legenden. 2
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[17/0031] an ihrer Seite Platz genommen; dann ergriff ſie ſeine beiden weißen Hände, drückte ihre Stirn darauf und bedeckte ſie mit Küſſen. Eugenia, welche von ihren anderweitigen Gedanken eingenommen, nicht auf das unheilige Ausſehen des Weibes geachtet hatte und ihr Gebahren für Demuth und geiſtliche Hingebung hielt, ließ ſie gewähren, und dadurch aufgemuntert, ſchlang die Heidin ihre Arme um Eugenias Hals, den ſchönſten jungen Mönch zu umarmen wähnend. Kurz, ehe der ſich's verſah, fand er ſich von der leidenſchafterfüllten Perſon umklammert und fühlte ſeinen Mund von einem Regen der heftigſten Küſſe getroffen. Ganz betäubt erwachte endlich Eugenia aus ihrer Zerſtreuung; doch dauerte es Minu¬ ten bis ſie ſich aus der wilden Umhalſung losmachen und aufrichten konnte. Sogleich aber begann die Zunge des heidniſchen Satans ſich zu rühren; in einem Sturm von Worten that die Teufelin dem entſetzten Abt ihre Liebe und Sehnſucht kund und ſuchte ihm auf jegliche Art zu beweiſen, daß es die Pflicht ſeiner Schönheit und Jugend ſei, dieſe Sehnſucht zu ſtillen, und daß er zu nichts anderem da ſei. Dabei ließ ſie es an neuen Angriffen und zärtlichen Verlockungen nicht fehlen, ſo daß Eugenia ſich kaum zu erwehren wußte, endlich aber ſich entrüſtet zuſammenraffte und mit blitzenden Keller, Sieben Legenden. 2

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/31>, abgerufen am 21.11.2024.