nus widmete die Tage seinem Amte und fuhr des Abends mit den schnellsten Pferden zu seiner Gattin. Nur etwa an unfreundlichen stürmischen Regentagen liebte er es, unversehens schon früher nach dem Land¬ hause zu eilen, um Eugenien aufzuheitern.
Diese gab sich jetzt, ohne viel Worte zu machen, mit eben der gründlichen Ausdauer, welche sie der Philosophie und der christlichen Askese gewidmet hatte, dem Studium ehelicher Liebe und Treue hin. Als aber ihr Haupthaar wieder die gehörige Länge erreicht hatte, führte Aquilinus seine Gemahlin mit Erfin¬ dung einer geschickten Fabel endlich wieder nach Alexandrien zurück, brachte sie zu ihren erstaunten Eltern und feierte ein glänzendes Hochzeitsfest.
Der Vater war zwar überrascht, anstatt einer unsterblichen Göttin und eines himmlischen Sternbil¬ des in seiner Tochter eine verliebte irdische Ehefrau wieder zu finden, und sah mit Wehmuth die geweihte Bildsäule aus dem Tempel wegtragen; doch über¬ wog löblicher Weise das Vergnügen an seiner leib¬ haften Tochter, welche jetzt erst so schön und liebens¬ werth erschien, wie noch nie. Die Marmorstatue stellte Aquilinus in den schönsten Raum seines Hau¬ ses; doch hütete er sich, dieselbe nochmals zu küssen, da er nun das lebenswarme Urbild zur Hand hatte.
Nachdem nun Eugenia das Wesen der Ehe genug¬
nus widmete die Tage ſeinem Amte und fuhr des Abends mit den ſchnellſten Pferden zu ſeiner Gattin. Nur etwa an unfreundlichen ſtürmiſchen Regentagen liebte er es, unverſehens ſchon früher nach dem Land¬ hauſe zu eilen, um Eugenien aufzuheitern.
Dieſe gab ſich jetzt, ohne viel Worte zu machen, mit eben der gründlichen Ausdauer, welche ſie der Philoſophie und der chriſtlichen Askeſe gewidmet hatte, dem Studium ehelicher Liebe und Treue hin. Als aber ihr Haupthaar wieder die gehörige Länge erreicht hatte, führte Aquilinus ſeine Gemahlin mit Erfin¬ dung einer geſchickten Fabel endlich wieder nach Alexandrien zurück, brachte ſie zu ihren erſtaunten Eltern und feierte ein glänzendes Hochzeitsfeſt.
Der Vater war zwar überraſcht, anſtatt einer unſterblichen Göttin und eines himmliſchen Sternbil¬ des in ſeiner Tochter eine verliebte irdiſche Ehefrau wieder zu finden, und ſah mit Wehmuth die geweihte Bildſäule aus dem Tempel wegtragen; doch über¬ wog löblicher Weiſe das Vergnügen an ſeiner leib¬ haften Tochter, welche jetzt erſt ſo ſchön und liebens¬ werth erſchien, wie noch nie. Die Marmorſtatue ſtellte Aquilinus in den ſchönſten Raum ſeines Hau¬ ſes; doch hütete er ſich, dieſelbe nochmals zu küſſen, da er nun das lebenswarme Urbild zur Hand hatte.
Nachdem nun Eugenia das Weſen der Ehe genug¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0041"n="27"/>
nus widmete die Tage ſeinem Amte und fuhr des<lb/>
Abends mit den ſchnellſten Pferden zu ſeiner Gattin.<lb/>
Nur etwa an unfreundlichen ſtürmiſchen Regentagen<lb/>
liebte er es, unverſehens ſchon früher nach dem Land¬<lb/>
hauſe zu eilen, um Eugenien aufzuheitern.</p><lb/><p>Dieſe gab ſich jetzt, ohne viel Worte zu machen,<lb/>
mit eben der gründlichen Ausdauer, welche ſie der<lb/>
Philoſophie und der chriſtlichen Askeſe gewidmet hatte,<lb/>
dem Studium ehelicher Liebe und Treue hin. Als<lb/>
aber ihr Haupthaar wieder die gehörige Länge erreicht<lb/>
hatte, führte Aquilinus ſeine Gemahlin mit Erfin¬<lb/>
dung einer geſchickten Fabel endlich wieder nach<lb/>
Alexandrien zurück, brachte ſie zu ihren erſtaunten<lb/>
Eltern und feierte ein glänzendes Hochzeitsfeſt.</p><lb/><p>Der Vater war zwar überraſcht, anſtatt einer<lb/>
unſterblichen Göttin und eines himmliſchen Sternbil¬<lb/>
des in ſeiner Tochter eine verliebte irdiſche Ehefrau<lb/>
wieder zu finden, und ſah mit Wehmuth die geweihte<lb/>
Bildſäule aus dem Tempel wegtragen; doch über¬<lb/>
wog löblicher Weiſe das Vergnügen an ſeiner leib¬<lb/>
haften Tochter, welche jetzt erſt ſo ſchön und liebens¬<lb/>
werth erſchien, wie noch nie. Die Marmorſtatue<lb/>ſtellte Aquilinus in den ſchönſten Raum ſeines Hau¬<lb/>ſes; doch hütete er ſich, dieſelbe nochmals zu küſſen,<lb/>
da er nun das lebenswarme Urbild zur Hand hatte.</p><lb/><p>Nachdem nun Eugenia das Weſen der Ehe genug¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[27/0041]
nus widmete die Tage ſeinem Amte und fuhr des
Abends mit den ſchnellſten Pferden zu ſeiner Gattin.
Nur etwa an unfreundlichen ſtürmiſchen Regentagen
liebte er es, unverſehens ſchon früher nach dem Land¬
hauſe zu eilen, um Eugenien aufzuheitern.
Dieſe gab ſich jetzt, ohne viel Worte zu machen,
mit eben der gründlichen Ausdauer, welche ſie der
Philoſophie und der chriſtlichen Askeſe gewidmet hatte,
dem Studium ehelicher Liebe und Treue hin. Als
aber ihr Haupthaar wieder die gehörige Länge erreicht
hatte, führte Aquilinus ſeine Gemahlin mit Erfin¬
dung einer geſchickten Fabel endlich wieder nach
Alexandrien zurück, brachte ſie zu ihren erſtaunten
Eltern und feierte ein glänzendes Hochzeitsfeſt.
Der Vater war zwar überraſcht, anſtatt einer
unſterblichen Göttin und eines himmliſchen Sternbil¬
des in ſeiner Tochter eine verliebte irdiſche Ehefrau
wieder zu finden, und ſah mit Wehmuth die geweihte
Bildſäule aus dem Tempel wegtragen; doch über¬
wog löblicher Weiſe das Vergnügen an ſeiner leib¬
haften Tochter, welche jetzt erſt ſo ſchön und liebens¬
werth erſchien, wie noch nie. Die Marmorſtatue
ſtellte Aquilinus in den ſchönſten Raum ſeines Hau¬
ſes; doch hütete er ſich, dieſelbe nochmals zu küſſen,
da er nun das lebenswarme Urbild zur Hand hatte.
Nachdem nun Eugenia das Weſen der Ehe genug¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/41>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.