Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

welcher gerade des Weges zu reiten hatte. Der wurde
von Bertrade huldreich empfangen und bewirthet wie
Jeder, der auf ihrer Burg einkehrte; er besah sich
ehrerbietig die herrlichen Säle, Zinnen und Gärten
und verliebte sich nebenbei heftig in die Besitzerin.
Doch blieb er um deswillen nicht eine Stunde
länger auf der Burg, sondern als er seinen Auftrag
verrichtet und Alles besehen, nahm er kurzen Abschied
von der Frau und ritt von dannen. Er war der
Einzige von Allen, die je hier gewesen, der nicht
daran dachte, diesen Preis erringen zu können.

Ueberdies war er träg in Handlungen und Wor¬
ten. Wenn sein Geist und sein Herz sich eines Dinges
bemächtigt hatten, was immer vollständig und mit
Feuer geschah, so brachte es Zendelwald nicht über
sich, den ersten Schritt zu einer Verwirklichung zu
thun, da die Sache für ihn abgemacht schien, wenn
er inwendig damit im Reinen war. Obgleich er sich
gern unterhielt, wo es nicht etwa galt, etwas zu er¬
reichen, redete er doch nie ein Wort zur rechten Zeit,
welches ihm Glück gebracht hätte. Aber nicht nur
seinem Munde, auch seiner Hand waren seine Ge¬
danken so voraus, daß er im Kampfe von seinen Fein¬
den öfters beinahe besiegt wurde, weil er zögerte, den
letzten Streich zu thun, den Gegner schon im Voraus
zu seinen Füßen sehend. Deshalb erregte seine Kampf¬

welcher gerade des Weges zu reiten hatte. Der wurde
von Bertrade huldreich empfangen und bewirthet wie
Jeder, der auf ihrer Burg einkehrte; er beſah ſich
ehrerbietig die herrlichen Säle, Zinnen und Gärten
und verliebte ſich nebenbei heftig in die Beſitzerin.
Doch blieb er um deswillen nicht eine Stunde
länger auf der Burg, ſondern als er ſeinen Auftrag
verrichtet und Alles beſehen, nahm er kurzen Abſchied
von der Frau und ritt von dannen. Er war der
Einzige von Allen, die je hier geweſen, der nicht
daran dachte, dieſen Preis erringen zu können.

Ueberdies war er träg in Handlungen und Wor¬
ten. Wenn ſein Geiſt und ſein Herz ſich eines Dinges
bemächtigt hatten, was immer vollſtändig und mit
Feuer geſchah, ſo brachte es Zendelwald nicht über
ſich, den erſten Schritt zu einer Verwirklichung zu
thun, da die Sache für ihn abgemacht ſchien, wenn
er inwendig damit im Reinen war. Obgleich er ſich
gern unterhielt, wo es nicht etwa galt, etwas zu er¬
reichen, redete er doch nie ein Wort zur rechten Zeit,
welches ihm Glück gebracht hätte. Aber nicht nur
ſeinem Munde, auch ſeiner Hand waren ſeine Ge¬
danken ſo voraus, daß er im Kampfe von ſeinen Fein¬
den öfters beinahe beſiegt wurde, weil er zögerte, den
letzten Streich zu thun, den Gegner ſchon im Voraus
zu ſeinen Füßen ſehend. Deshalb erregte ſeine Kampf¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="48"/>
welcher gerade des Weges zu reiten hatte. Der wurde<lb/>
von Bertrade huldreich empfangen und bewirthet wie<lb/>
Jeder, der auf ihrer Burg einkehrte; er be&#x017F;ah &#x017F;ich<lb/>
ehrerbietig die herrlichen Säle, Zinnen und Gärten<lb/>
und verliebte &#x017F;ich nebenbei heftig in die Be&#x017F;itzerin.<lb/>
Doch blieb er um deswillen nicht eine Stunde<lb/>
länger auf der Burg, &#x017F;ondern als er &#x017F;einen Auftrag<lb/>
verrichtet und Alles be&#x017F;ehen, nahm er kurzen Ab&#x017F;chied<lb/>
von der Frau und ritt von dannen. Er war der<lb/>
Einzige von Allen, die je hier gewe&#x017F;en, der nicht<lb/>
daran dachte, die&#x017F;en Preis erringen zu können.</p><lb/>
        <p>Ueberdies war er träg in Handlungen und Wor¬<lb/>
ten. Wenn &#x017F;ein Gei&#x017F;t und &#x017F;ein Herz &#x017F;ich eines Dinges<lb/>
bemächtigt hatten, was immer voll&#x017F;tändig und mit<lb/>
Feuer ge&#x017F;chah, &#x017F;o brachte es Zendelwald nicht über<lb/>
&#x017F;ich, den er&#x017F;ten Schritt zu einer Verwirklichung zu<lb/>
thun, da die Sache für ihn abgemacht &#x017F;chien, wenn<lb/>
er inwendig damit im Reinen war. Obgleich er &#x017F;ich<lb/>
gern unterhielt, wo es nicht etwa galt, etwas zu er¬<lb/>
reichen, redete er doch nie ein Wort zur rechten Zeit,<lb/>
welches ihm Glück gebracht hätte. Aber nicht nur<lb/>
&#x017F;einem Munde, auch &#x017F;einer Hand waren &#x017F;eine Ge¬<lb/>
danken &#x017F;o voraus, daß er im Kampfe von &#x017F;einen Fein¬<lb/>
den öfters beinahe be&#x017F;iegt wurde, weil er zögerte, den<lb/>
letzten Streich zu thun, den Gegner &#x017F;chon im Voraus<lb/>
zu &#x017F;einen Füßen &#x017F;ehend. Deshalb erregte &#x017F;eine Kampf¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0062] welcher gerade des Weges zu reiten hatte. Der wurde von Bertrade huldreich empfangen und bewirthet wie Jeder, der auf ihrer Burg einkehrte; er beſah ſich ehrerbietig die herrlichen Säle, Zinnen und Gärten und verliebte ſich nebenbei heftig in die Beſitzerin. Doch blieb er um deswillen nicht eine Stunde länger auf der Burg, ſondern als er ſeinen Auftrag verrichtet und Alles beſehen, nahm er kurzen Abſchied von der Frau und ritt von dannen. Er war der Einzige von Allen, die je hier geweſen, der nicht daran dachte, dieſen Preis erringen zu können. Ueberdies war er träg in Handlungen und Wor¬ ten. Wenn ſein Geiſt und ſein Herz ſich eines Dinges bemächtigt hatten, was immer vollſtändig und mit Feuer geſchah, ſo brachte es Zendelwald nicht über ſich, den erſten Schritt zu einer Verwirklichung zu thun, da die Sache für ihn abgemacht ſchien, wenn er inwendig damit im Reinen war. Obgleich er ſich gern unterhielt, wo es nicht etwa galt, etwas zu er¬ reichen, redete er doch nie ein Wort zur rechten Zeit, welches ihm Glück gebracht hätte. Aber nicht nur ſeinem Munde, auch ſeiner Hand waren ſeine Ge¬ danken ſo voraus, daß er im Kampfe von ſeinen Fein¬ den öfters beinahe beſiegt wurde, weil er zögerte, den letzten Streich zu thun, den Gegner ſchon im Voraus zu ſeinen Füßen ſehend. Deshalb erregte ſeine Kampf¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/62
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/62>, abgerufen am 25.11.2024.