Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

weise auf allen Turnieren Verwunderung, indem er
stets zuerst sich kaum rührte und nur in der größten
Noth mit einem tüchtigen Ruck obsiegte.

In voller Gedankenarbeit, deren Gegenstand die
schöne Bertrade war, ritt dieser Zendelwald jetzt nach
seinem Heimatschlößchen, das in einem einsamen
Bergwalde lag. Nur wenig Köhler und Holzschläger
waren seine Unterthanen, und seine Mutter harrte da¬
her jedesmal seiner Rückkunft mit bitterer Ungeduld,
ob er jetzt endlich das Glück nach Hause bringe.

So lässig Zendelwald war, so handlich und ent¬
schlossen war seine Mutter, ohne daß es ihr viel
genützt hätte, da sie ihrerseits diese Eigenschaft eben¬
falls jederzeit übertrieben geltend gemacht und daher
zur Zwecklosigkeit umgewandelt hatte. In ihrer Jugend
hatte sie so bald als möglich an den Mann zu kom¬
men gesucht und mehrere Gelegenheiten so schnell und
eifrig überhetzt, daß sie in der Eile gerade die schlech¬
teste Wahl traf in der Person eines unbedachten und
tollkühnen Gesellen, der sein Erbe durch jagte, einen
frühzeitigen Tod fand und ihr nichts als ein langes
Wittwenthum, Armuth und einen Sohn hinterließ,
der sich nicht rühren wollte, das Glück zu erhaschen.

Die einzige Nahrung der kleinen Familie bestand
aus der Milch einiger Ziegen, Waldfrüchten und aus
Wild. Zendelwalds Mutter war eine vollkommene

Keller, Sieben Legenden. 4

weiſe auf allen Turnieren Verwunderung, indem er
ſtets zuerſt ſich kaum rührte und nur in der größten
Noth mit einem tüchtigen Ruck obſiegte.

In voller Gedankenarbeit, deren Gegenſtand die
ſchöne Bertrade war, ritt dieſer Zendelwald jetzt nach
ſeinem Heimatſchlößchen, das in einem einſamen
Bergwalde lag. Nur wenig Köhler und Holzſchläger
waren ſeine Unterthanen, und ſeine Mutter harrte da¬
her jedesmal ſeiner Rückkunft mit bitterer Ungeduld,
ob er jetzt endlich das Glück nach Hauſe bringe.

So läſſig Zendelwald war, ſo handlich und ent¬
ſchloſſen war ſeine Mutter, ohne daß es ihr viel
genützt hätte, da ſie ihrerſeits dieſe Eigenſchaft eben¬
falls jederzeit übertrieben geltend gemacht und daher
zur Zweckloſigkeit umgewandelt hatte. In ihrer Jugend
hatte ſie ſo bald als möglich an den Mann zu kom¬
men geſucht und mehrere Gelegenheiten ſo ſchnell und
eifrig überhetzt, daß ſie in der Eile gerade die ſchlech¬
teſte Wahl traf in der Perſon eines unbedachten und
tollkühnen Geſellen, der ſein Erbe durch jagte, einen
frühzeitigen Tod fand und ihr nichts als ein langes
Wittwenthum, Armuth und einen Sohn hinterließ,
der ſich nicht rühren wollte, das Glück zu erhaſchen.

Die einzige Nahrung der kleinen Familie beſtand
aus der Milch einiger Ziegen, Waldfrüchten und aus
Wild. Zendelwalds Mutter war eine vollkommene

Keller, Sieben Legenden. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0063" n="49"/>
wei&#x017F;e auf allen Turnieren Verwunderung, indem er<lb/>
&#x017F;tets zuer&#x017F;t &#x017F;ich kaum rührte und nur in der größten<lb/>
Noth mit einem tüchtigen Ruck ob&#x017F;iegte.</p><lb/>
        <p>In voller Gedankenarbeit, deren Gegen&#x017F;tand die<lb/>
&#x017F;chöne Bertrade war, ritt die&#x017F;er Zendelwald jetzt nach<lb/>
&#x017F;einem Heimat&#x017F;chlößchen, das in einem ein&#x017F;amen<lb/>
Bergwalde lag. Nur wenig Köhler und Holz&#x017F;chläger<lb/>
waren &#x017F;eine Unterthanen, und &#x017F;eine Mutter harrte da¬<lb/>
her jedesmal &#x017F;einer Rückkunft mit bitterer Ungeduld,<lb/>
ob er jetzt endlich das Glück nach Hau&#x017F;e bringe.</p><lb/>
        <p>So lä&#x017F;&#x017F;ig Zendelwald war, &#x017F;o handlich und ent¬<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en war &#x017F;eine Mutter, ohne daß es ihr viel<lb/>
genützt hätte, da &#x017F;ie ihrer&#x017F;eits die&#x017F;e Eigen&#x017F;chaft eben¬<lb/>
falls jederzeit übertrieben geltend gemacht und daher<lb/>
zur Zwecklo&#x017F;igkeit umgewandelt hatte. In ihrer Jugend<lb/>
hatte &#x017F;ie &#x017F;o bald als möglich an den Mann zu kom¬<lb/>
men ge&#x017F;ucht und mehrere Gelegenheiten &#x017F;o &#x017F;chnell und<lb/>
eifrig überhetzt, daß &#x017F;ie in der Eile gerade die &#x017F;chlech¬<lb/>
te&#x017F;te Wahl traf in der Per&#x017F;on eines unbedachten und<lb/>
tollkühnen Ge&#x017F;ellen, der &#x017F;ein Erbe durch jagte, einen<lb/>
frühzeitigen Tod fand und ihr nichts als ein langes<lb/>
Wittwenthum, Armuth und einen Sohn hinterließ,<lb/>
der &#x017F;ich nicht rühren wollte, das Glück zu erha&#x017F;chen.</p><lb/>
        <p>Die einzige Nahrung der kleinen Familie be&#x017F;tand<lb/>
aus der Milch einiger Ziegen, Waldfrüchten und aus<lb/>
Wild. Zendelwalds Mutter war eine vollkommene<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Keller</hi>, Sieben Legenden. 4<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0063] weiſe auf allen Turnieren Verwunderung, indem er ſtets zuerſt ſich kaum rührte und nur in der größten Noth mit einem tüchtigen Ruck obſiegte. In voller Gedankenarbeit, deren Gegenſtand die ſchöne Bertrade war, ritt dieſer Zendelwald jetzt nach ſeinem Heimatſchlößchen, das in einem einſamen Bergwalde lag. Nur wenig Köhler und Holzſchläger waren ſeine Unterthanen, und ſeine Mutter harrte da¬ her jedesmal ſeiner Rückkunft mit bitterer Ungeduld, ob er jetzt endlich das Glück nach Hauſe bringe. So läſſig Zendelwald war, ſo handlich und ent¬ ſchloſſen war ſeine Mutter, ohne daß es ihr viel genützt hätte, da ſie ihrerſeits dieſe Eigenſchaft eben¬ falls jederzeit übertrieben geltend gemacht und daher zur Zweckloſigkeit umgewandelt hatte. In ihrer Jugend hatte ſie ſo bald als möglich an den Mann zu kom¬ men geſucht und mehrere Gelegenheiten ſo ſchnell und eifrig überhetzt, daß ſie in der Eile gerade die ſchlech¬ teſte Wahl traf in der Perſon eines unbedachten und tollkühnen Geſellen, der ſein Erbe durch jagte, einen frühzeitigen Tod fand und ihr nichts als ein langes Wittwenthum, Armuth und einen Sohn hinterließ, der ſich nicht rühren wollte, das Glück zu erhaſchen. Die einzige Nahrung der kleinen Familie beſtand aus der Milch einiger Ziegen, Waldfrüchten und aus Wild. Zendelwalds Mutter war eine vollkommene Keller, Sieben Legenden. 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/63
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/63>, abgerufen am 25.11.2024.