Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

welche das Vermögen der Stadt ausmachen; denn
dies ist das Wahrzeichen und sonderbare Schicksal
derselben, daß die Gemeinde reich ist und die
Bürgerschaft arm, und zwar so, daß kein Mensch
zu Seldwyla etwas hat und niemand weiß, wo¬
von sie seit Jahrhunderten eigentlich leben. Und
sie leben sehr lustig und guter Dinge, halten die
Gemüthlichkeit für ihre besondere Kunst und wenn
sie irgendwo hinkommen, wo man anderes Holz
brennt, so kritisiren sie zuerst die dortige Ge¬
müthlichkeit und meinen, ihnen thue es doch nie¬
mand zuvor in dieser Handtierung.

Der Kern und der Glanz des Volkes besteht
aus den jungen Leuten von etwa zwanzig bis
fünf, sechs und dreißig Jahren, und diese sind
es, welche den Ton angeben, die Stange halten
und die Herrlichkeit von Seldwyla darstellen.
Denn während dieses Alters üben sie das Ge¬
schäft, das Handwerk, den Vortheil oder was sie
sonst gelernt haben, d. h. sie lassen, so lange es
geht, fremde Leute für sich arbeiten und benutzen
ihre Profession zur Betreibung eines trefflichen
Schuldenverkehres, der eben die Grundlage der
Macht, Herrlichkeit und Gemüthlichkeit der Herren

welche das Vermögen der Stadt ausmachen; denn
dies iſt das Wahrzeichen und ſonderbare Schickſal
derſelben, daß die Gemeinde reich iſt und die
Bürgerſchaft arm, und zwar ſo, daß kein Menſch
zu Seldwyla etwas hat und niemand weiß, wo¬
von ſie ſeit Jahrhunderten eigentlich leben. Und
ſie leben ſehr luſtig und guter Dinge, halten die
Gemüthlichkeit für ihre beſondere Kunſt und wenn
ſie irgendwo hinkommen, wo man anderes Holz
brennt, ſo kritiſiren ſie zuerſt die dortige Ge¬
müthlichkeit und meinen, ihnen thue es doch nie¬
mand zuvor in dieſer Handtierung.

Der Kern und der Glanz des Volkes beſteht
aus den jungen Leuten von etwa zwanzig bis
fünf, ſechs und dreißig Jahren, und dieſe ſind
es, welche den Ton angeben, die Stange halten
und die Herrlichkeit von Seldwyla darſtellen.
Denn während dieſes Alters üben ſie das Ge¬
ſchäft, das Handwerk, den Vortheil oder was ſie
ſonſt gelernt haben, d. h. ſie laſſen, ſo lange es
geht, fremde Leute für ſich arbeiten und benutzen
ihre Profeſſion zur Betreibung eines trefflichen
Schuldenverkehres, der eben die Grundlage der
Macht, Herrlichkeit und Gemüthlichkeit der Herren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014" n="2"/>
welche das Vermögen der Stadt ausmachen; denn<lb/>
dies i&#x017F;t das Wahrzeichen und &#x017F;onderbare Schick&#x017F;al<lb/>
der&#x017F;elben, daß die Gemeinde reich i&#x017F;t und die<lb/>
Bürger&#x017F;chaft arm, und zwar &#x017F;o, daß kein Men&#x017F;ch<lb/>
zu Seldwyla etwas hat und niemand weiß, wo¬<lb/>
von &#x017F;ie &#x017F;eit Jahrhunderten eigentlich leben. Und<lb/>
&#x017F;ie leben &#x017F;ehr lu&#x017F;tig und guter Dinge, halten die<lb/>
Gemüthlichkeit für ihre be&#x017F;ondere Kun&#x017F;t und wenn<lb/>
&#x017F;ie irgendwo hinkommen, wo man anderes Holz<lb/>
brennt, &#x017F;o kriti&#x017F;iren &#x017F;ie zuer&#x017F;t die dortige Ge¬<lb/>
müthlichkeit und meinen, ihnen thue es doch nie¬<lb/>
mand zuvor in die&#x017F;er Handtierung.</p><lb/>
        <p>Der Kern und der Glanz des Volkes be&#x017F;teht<lb/>
aus den jungen Leuten von etwa zwanzig bis<lb/>
fünf, &#x017F;echs und dreißig Jahren, und die&#x017F;e &#x017F;ind<lb/>
es, welche den Ton angeben, die Stange halten<lb/>
und die Herrlichkeit von Seldwyla dar&#x017F;tellen.<lb/>
Denn während die&#x017F;es Alters üben &#x017F;ie das Ge¬<lb/>
&#x017F;chäft, das Handwerk, den Vortheil oder was &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t gelernt haben, d. h. &#x017F;ie la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o lange es<lb/>
geht, fremde Leute für &#x017F;ich arbeiten und benutzen<lb/>
ihre Profe&#x017F;&#x017F;ion zur Betreibung eines trefflichen<lb/>
Schuldenverkehres, der eben die Grundlage der<lb/>
Macht, Herrlichkeit und Gemüthlichkeit der Herren<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0014] welche das Vermögen der Stadt ausmachen; denn dies iſt das Wahrzeichen und ſonderbare Schickſal derſelben, daß die Gemeinde reich iſt und die Bürgerſchaft arm, und zwar ſo, daß kein Menſch zu Seldwyla etwas hat und niemand weiß, wo¬ von ſie ſeit Jahrhunderten eigentlich leben. Und ſie leben ſehr luſtig und guter Dinge, halten die Gemüthlichkeit für ihre beſondere Kunſt und wenn ſie irgendwo hinkommen, wo man anderes Holz brennt, ſo kritiſiren ſie zuerſt die dortige Ge¬ müthlichkeit und meinen, ihnen thue es doch nie¬ mand zuvor in dieſer Handtierung. Der Kern und der Glanz des Volkes beſteht aus den jungen Leuten von etwa zwanzig bis fünf, ſechs und dreißig Jahren, und dieſe ſind es, welche den Ton angeben, die Stange halten und die Herrlichkeit von Seldwyla darſtellen. Denn während dieſes Alters üben ſie das Ge¬ ſchäft, das Handwerk, den Vortheil oder was ſie ſonſt gelernt haben, d. h. ſie laſſen, ſo lange es geht, fremde Leute für ſich arbeiten und benutzen ihre Profeſſion zur Betreibung eines trefflichen Schuldenverkehres, der eben die Grundlage der Macht, Herrlichkeit und Gemüthlichkeit der Herren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/14
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/14>, abgerufen am 21.11.2024.