von Seldwyl bildet und mit einer ausgezeichneten Gegenseitigkeit und Verständnißinnigkeit gewahrt wird; aber wohlgemerkt, nur unter dieser Aristo¬ kratie der Jugend. Denn so wie Einer die Grenze der besagten blühenden Jahre erreicht, wo die Männer anderer Städtlein etwa anfangen erst recht in sich zu gehen und zu erstarken, so ist er in Seldwyla fertig; er muß fallen lassen und hält sich, wenn er ein ganz gewöhnlicher Seld¬ wyler ist, ferner am Orte auf als ein Entkräft¬ teter und aus dem Paradies des Credites Ver¬ stoßener, oder wenn noch etwas in ihm steckt, das noch nicht verbraucht ist, so geht er in fremde Kriegsdienste und lernt dort für einen fremden Tyrannen, was er für sich selbst zu üben ver¬ schmäht hat, sich einzuknöpfen und steif aufrecht zu halten. Diese kehren als tüchtige Kriegs¬ männer nach einer Reihe von Jahren zurück und gehören dann zu den besten Exerziermeistern der Schweiz, welche die junge Mannschaft zu erziehen wissen, daß es eine Lust ist. Andere ziehen noch anderwärts auf Abenteuer aus gegen das vier¬ zigste Jahr hin, und in den verschiedensten Welt¬ theilen kann man Seldwyler treffen, die sich alle
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von Seldwyl bildet und mit einer ausgezeichneten Gegenſeitigkeit und Verſtändnißinnigkeit gewahrt wird; aber wohlgemerkt, nur unter dieſer Ariſto¬ kratie der Jugend. Denn ſo wie Einer die Grenze der beſagten blühenden Jahre erreicht, wo die Männer anderer Städtlein etwa anfangen erſt recht in ſich zu gehen und zu erſtarken, ſo iſt er in Seldwyla fertig; er muß fallen laſſen und hält ſich, wenn er ein ganz gewöhnlicher Seld¬ wyler iſt, ferner am Orte auf als ein Entkräft¬ teter und aus dem Paradies des Credites Ver¬ ſtoßener, oder wenn noch etwas in ihm ſteckt, das noch nicht verbraucht iſt, ſo geht er in fremde Kriegsdienſte und lernt dort für einen fremden Tyrannen, was er für ſich ſelbſt zu üben ver¬ ſchmäht hat, ſich einzuknöpfen und ſteif aufrecht zu halten. Dieſe kehren als tüchtige Kriegs¬ männer nach einer Reihe von Jahren zurück und gehören dann zu den beſten Exerziermeiſtern der Schweiz, welche die junge Mannſchaft zu erziehen wiſſen, daß es eine Luſt iſt. Andere ziehen noch anderwärts auf Abenteuer aus gegen das vier¬ zigſte Jahr hin, und in den verſchiedenſten Welt¬ theilen kann man Seldwyler treffen, die ſich alle
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[3/0015]
von Seldwyl bildet und mit einer ausgezeichneten
Gegenſeitigkeit und Verſtändnißinnigkeit gewahrt
wird; aber wohlgemerkt, nur unter dieſer Ariſto¬
kratie der Jugend. Denn ſo wie Einer die Grenze
der beſagten blühenden Jahre erreicht, wo die
Männer anderer Städtlein etwa anfangen erſt
recht in ſich zu gehen und zu erſtarken, ſo iſt er
in Seldwyla fertig; er muß fallen laſſen und
hält ſich, wenn er ein ganz gewöhnlicher Seld¬
wyler iſt, ferner am Orte auf als ein Entkräft¬
teter und aus dem Paradies des Credites Ver¬
ſtoßener, oder wenn noch etwas in ihm ſteckt,
das noch nicht verbraucht iſt, ſo geht er in fremde
Kriegsdienſte und lernt dort für einen fremden
Tyrannen, was er für ſich ſelbſt zu üben ver¬
ſchmäht hat, ſich einzuknöpfen und ſteif aufrecht
zu halten. Dieſe kehren als tüchtige Kriegs¬
männer nach einer Reihe von Jahren zurück und
gehören dann zu den beſten Exerziermeiſtern der
Schweiz, welche die junge Mannſchaft zu erziehen
wiſſen, daß es eine Luſt iſt. Andere ziehen noch
anderwärts auf Abenteuer aus gegen das vier¬
zigſte Jahr hin, und in den verſchiedenſten Welt¬
theilen kann man Seldwyler treffen, die ſich alle
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/15>, abgerufen am 23.11.2024.
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