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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Puppe warf und dieselbe in ihre Schürze hüllte.
Sie nahm sie aber wieder hervor und betrachtete
wehselig die Ärmste und als sie das Bein sah,
fing sie abermals an laut zu weinen, denn das¬
selbe hing an dem Rumpfe nicht anders, denn
das Schwänzchen an einem Molche. Als sie
gar so unbändig weinte, ward es dem Übelthä¬
ter endlich etwas übel zu Muth und er stand
in Angst und Reue vor der Klagenden, und als
sie dies merkte, hörte sie plötzlich auf und schlug
ihn einigemal mit der Puppe und er that als
ob es ihm weh thäte und schrie au! so natür¬
lich, daß sie zufrieden war und nun mit ihm
gemeinschaftlich die Zerstörung und Zerlegung
fortsetzte. Sie bohrten Loch auf Loch in den
Marterleib und ließen aller Enden die Kleie ent¬
strömen, welche sie sorgfältig auf einem flachen
Steine zu einem Häufchen sammelten, umrührten
und aufmerksam betrachteten. Das einzige Feste,
was noch an der Puppe bestand, war der Kopf
und mußte jetzt vorzüglich die Aufmerksamkeit
der Kinder erregen; sie trennten ihn sorgfältig
los von dem ausgequetschten Leichnam und guck¬
ten erstaunt in sein hohles Innere. Als sie die

Puppe warf und dieſelbe in ihre Schürze hüllte.
Sie nahm ſie aber wieder hervor und betrachtete
wehſelig die Ärmſte und als ſie das Bein ſah,
fing ſie abermals an laut zu weinen, denn das¬
ſelbe hing an dem Rumpfe nicht anders, denn
das Schwänzchen an einem Molche. Als ſie
gar ſo unbändig weinte, ward es dem Übelthä¬
ter endlich etwas übel zu Muth und er ſtand
in Angſt und Reue vor der Klagenden, und als
ſie dies merkte, hörte ſie plötzlich auf und ſchlug
ihn einigemal mit der Puppe und er that als
ob es ihm weh thäte und ſchrie au! ſo natür¬
lich, daß ſie zufrieden war und nun mit ihm
gemeinſchaftlich die Zerſtörung und Zerlegung
fortſetzte. Sie bohrten Loch auf Loch in den
Marterleib und ließen aller Enden die Kleie ent¬
ſtrömen, welche ſie ſorgfältig auf einem flachen
Steine zu einem Häufchen ſammelten, umrührten
und aufmerkſam betrachteten. Das einzige Feſte,
was noch an der Puppe beſtand, war der Kopf
und mußte jetzt vorzüglich die Aufmerkſamkeit
der Kinder erregen; ſie trennten ihn ſorgfältig
los von dem ausgequetſchten Leichnam und guck¬
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[220/0232] Puppe warf und dieſelbe in ihre Schürze hüllte. Sie nahm ſie aber wieder hervor und betrachtete wehſelig die Ärmſte und als ſie das Bein ſah, fing ſie abermals an laut zu weinen, denn das¬ ſelbe hing an dem Rumpfe nicht anders, denn das Schwänzchen an einem Molche. Als ſie gar ſo unbändig weinte, ward es dem Übelthä¬ ter endlich etwas übel zu Muth und er ſtand in Angſt und Reue vor der Klagenden, und als ſie dies merkte, hörte ſie plötzlich auf und ſchlug ihn einigemal mit der Puppe und er that als ob es ihm weh thäte und ſchrie au! ſo natür¬ lich, daß ſie zufrieden war und nun mit ihm gemeinſchaftlich die Zerſtörung und Zerlegung fortſetzte. Sie bohrten Loch auf Loch in den Marterleib und ließen aller Enden die Kleie ent¬ ſtrömen, welche ſie ſorgfältig auf einem flachen Steine zu einem Häufchen ſammelten, umrührten und aufmerkſam betrachteten. Das einzige Feſte, was noch an der Puppe beſtand, war der Kopf und mußte jetzt vorzüglich die Aufmerkſamkeit der Kinder erregen; ſie trennten ihn ſorgfältig los von dem ausgequetſchten Leichnam und guck¬ ten erſtaunt in ſein hohles Innere. Als ſie die

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/232>, abgerufen am 21.11.2024.