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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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bedenkliche Höhlung sahen und auch die Kleie
sahen, war es der nächste und natürlichste Ge¬
dankensprung, den Kopf mit der Kleie auszu¬
füllen, und so waren die Fingerchen der Kinder
nun beschäftigt, um die Wette Kleie in den Kopf
zu thun, so daß zum ersten Mal in seinem Le¬
ben etwas in ihm steckte. Der Knabe mochte
es aber immer noch für ein todtes Wissen hal¬
ten, weil er plötzlich eine große blaue Fliege
fing und, die summende zwischen beiden hohlen
Händen haltend, dem Mädchen gebot, den Kopf
von der Kleie zu entleeren. Hierauf wurde die
Fliege hineingesperrt und das Loch mit Gras
verstopft. Die Kinder hielten den Kopf an die
Ohren und setzten ihn dann feierlich auf einen
Stein; da er noch mit der rothen Mohnblume
bedeckt war, so glich der Tönende jetzt einem
weißsagenden Haupte und die Kinder lauschten
in tiefer Stille seinen Kunden und Mährchen,
indessen sie sich umschlungen hielten. Aber jeder
Prophet erweckt Grauen und Undank, das we¬
nige Leben in dem dürftig geformten Bilde er¬
weckte die menschliche Grausamkeit in den Kin¬
dern und es wurde beschlossen, das Haupt zu

bedenkliche Höhlung ſahen und auch die Kleie
ſahen, war es der nächſte und natürlichſte Ge¬
dankenſprung, den Kopf mit der Kleie auszu¬
füllen, und ſo waren die Fingerchen der Kinder
nun beſchäftigt, um die Wette Kleie in den Kopf
zu thun, ſo daß zum erſten Mal in ſeinem Le¬
ben etwas in ihm ſteckte. Der Knabe mochte
es aber immer noch für ein todtes Wiſſen hal¬
ten, weil er plötzlich eine große blaue Fliege
fing und, die ſummende zwiſchen beiden hohlen
Händen haltend, dem Mädchen gebot, den Kopf
von der Kleie zu entleeren. Hierauf wurde die
Fliege hineingeſperrt und das Loch mit Gras
verſtopft. Die Kinder hielten den Kopf an die
Ohren und ſetzten ihn dann feierlich auf einen
Stein; da er noch mit der rothen Mohnblume
bedeckt war, ſo glich der Tönende jetzt einem
weißſagenden Haupte und die Kinder lauſchten
in tiefer Stille ſeinen Kunden und Mährchen,
indeſſen ſie ſich umſchlungen hielten. Aber jeder
Prophet erweckt Grauen und Undank, das we¬
nige Leben in dem dürftig geformten Bilde er¬
weckte die menſchliche Grauſamkeit in den Kin¬
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[221/0233] bedenkliche Höhlung ſahen und auch die Kleie ſahen, war es der nächſte und natürlichſte Ge¬ dankenſprung, den Kopf mit der Kleie auszu¬ füllen, und ſo waren die Fingerchen der Kinder nun beſchäftigt, um die Wette Kleie in den Kopf zu thun, ſo daß zum erſten Mal in ſeinem Le¬ ben etwas in ihm ſteckte. Der Knabe mochte es aber immer noch für ein todtes Wiſſen hal¬ ten, weil er plötzlich eine große blaue Fliege fing und, die ſummende zwiſchen beiden hohlen Händen haltend, dem Mädchen gebot, den Kopf von der Kleie zu entleeren. Hierauf wurde die Fliege hineingeſperrt und das Loch mit Gras verſtopft. Die Kinder hielten den Kopf an die Ohren und ſetzten ihn dann feierlich auf einen Stein; da er noch mit der rothen Mohnblume bedeckt war, ſo glich der Tönende jetzt einem weißſagenden Haupte und die Kinder lauſchten in tiefer Stille ſeinen Kunden und Mährchen, indeſſen ſie ſich umſchlungen hielten. Aber jeder Prophet erweckt Grauen und Undank, das we¬ nige Leben in dem dürftig geformten Bilde er¬ weckte die menſchliche Grauſamkeit in den Kin¬ dern und es wurde beſchloſſen, das Haupt zu

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/233>, abgerufen am 24.11.2024.