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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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begraben. So machten sie ein Grab und legten
den Kopf, ohne die gefangene Fliege um ihre
Meinung zu befragen, hinein, und errichteten
über dem Grabe ein ansehnliches Denkmal von
Feldsteinen. Dann empfanden sie einiges Grauen,
da sie etwas Geformtes und Belebtes begraben
hatten, und entfernten sich ein gutes Stück von
der unheimlichen Stätte. Auf einem ganz mit
grünen Kräutern bedeckten Plätzchen legte sich
das Dirnchen auf den Rücken, da es müde
war, und begann in eintöniger Weise einige
Worte zu singen, immer die nämlichen, und der
Junge kauerte daneben und half, indem er nicht
wußte, ob er auch vollends umfallen solle, so
lässig und müssig war er. Die Sonne schien
dem singenden Mädchen in den geöffneten Mund,
beleuchtete dessen blendendweiße Zähnchen und
durchschimmerte die runden Purpurlippen. Der
Knabe sah die Zähne und dem Mädchen den Kopf
haltend und dessen Zähnchen neugierig untersuchend,
rief er: Rathe, wie viele Zähne hat man? das
Mädchen besann sich einen Augenblick, als ob es
reiflich nachzählte, und sagte dann auf Gerathe¬
wohl: Hundert! "Nein, zwei und dreißig!" rief

begraben. So machten ſie ein Grab und legten
den Kopf, ohne die gefangene Fliege um ihre
Meinung zu befragen, hinein, und errichteten
über dem Grabe ein anſehnliches Denkmal von
Feldſteinen. Dann empfanden ſie einiges Grauen,
da ſie etwas Geformtes und Belebtes begraben
hatten, und entfernten ſich ein gutes Stück von
der unheimlichen Stätte. Auf einem ganz mit
grünen Kräutern bedeckten Plätzchen legte ſich
das Dirnchen auf den Rücken, da es müde
war, und begann in eintöniger Weiſe einige
Worte zu ſingen, immer die nämlichen, und der
Junge kauerte daneben und half, indem er nicht
wußte, ob er auch vollends umfallen ſolle, ſo
läſſig und müſſig war er. Die Sonne ſchien
dem ſingenden Mädchen in den geöffneten Mund,
beleuchtete deſſen blendendweiße Zähnchen und
durchſchimmerte die runden Purpurlippen. Der
Knabe ſah die Zähne und dem Mädchen den Kopf
haltend und deſſen Zähnchen neugierig unterſuchend,
rief er: Rathe, wie viele Zähne hat man? das
Mädchen beſann ſich einen Augenblick, als ob es
reiflich nachzählte, und ſagte dann auf Gerathe¬
wohl: Hundert! »Nein, zwei und dreißig!« rief

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[222/0234] begraben. So machten ſie ein Grab und legten den Kopf, ohne die gefangene Fliege um ihre Meinung zu befragen, hinein, und errichteten über dem Grabe ein anſehnliches Denkmal von Feldſteinen. Dann empfanden ſie einiges Grauen, da ſie etwas Geformtes und Belebtes begraben hatten, und entfernten ſich ein gutes Stück von der unheimlichen Stätte. Auf einem ganz mit grünen Kräutern bedeckten Plätzchen legte ſich das Dirnchen auf den Rücken, da es müde war, und begann in eintöniger Weiſe einige Worte zu ſingen, immer die nämlichen, und der Junge kauerte daneben und half, indem er nicht wußte, ob er auch vollends umfallen ſolle, ſo läſſig und müſſig war er. Die Sonne ſchien dem ſingenden Mädchen in den geöffneten Mund, beleuchtete deſſen blendendweiße Zähnchen und durchſchimmerte die runden Purpurlippen. Der Knabe ſah die Zähne und dem Mädchen den Kopf haltend und deſſen Zähnchen neugierig unterſuchend, rief er: Rathe, wie viele Zähne hat man? das Mädchen beſann ſich einen Augenblick, als ob es reiflich nachzählte, und ſagte dann auf Gerathe¬ wohl: Hundert! »Nein, zwei und dreißig!« rief

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/234>, abgerufen am 21.11.2024.