hatte dies am wenigsten erwartet; er glaubte, sein Gegner werde nach alter Weise mit dem Pfluge zu Werke gehen wollen und hatte daher abgewartet, bis er ihn als Pflüger ausziehen sähe. Erst als die Sache schon beinahe fertig, hörte er von dem schönen Denkmal, welches Manz da errichtet, rannte voll Wuth hinaus, sah die Bescherung, rannte zurück und holte den Gemeindeamman, um vorläufig gegen den Steinhaufen zu protestiren und den Fleck gericht¬ lich in Beschlag nehmen zu lassen, und von diesem Tage an lagen die zwei Bauern in Proceß mit einander und ruhten nicht eher, bis sie beide zu Grunde gerichtet waren.
Die Gedanken der sonst so wohlweisen Män¬ ner waren nun so kurz geschnitten wie Häcksel; der beschränkteste Rechtssinn von der Welt er¬ füllte jeden von ihnen, indem keiner begreifen konnte noch wollte, wie der andere so offenbar unrechtmäßig und willkührlich den fraglichen un¬ bedeutenden Ackerzipfel an sich reißen könne. Bei Manz kam noch ein wunderbarer Sinn für Sym¬ metrie und parallele Linien hinzu und er fühlte sich wahrhaft gekränkt durch den aberwitzigen
hatte dies am wenigſten erwartet; er glaubte, ſein Gegner werde nach alter Weiſe mit dem Pfluge zu Werke gehen wollen und hatte daher abgewartet, bis er ihn als Pflüger ausziehen ſähe. Erſt als die Sache ſchon beinahe fertig, hörte er von dem ſchönen Denkmal, welches Manz da errichtet, rannte voll Wuth hinaus, ſah die Beſcherung, rannte zurück und holte den Gemeindeamman, um vorläufig gegen den Steinhaufen zu proteſtiren und den Fleck gericht¬ lich in Beſchlag nehmen zu laſſen, und von dieſem Tage an lagen die zwei Bauern in Proceß mit einander und ruhten nicht eher, bis ſie beide zu Grunde gerichtet waren.
Die Gedanken der ſonſt ſo wohlweiſen Män¬ ner waren nun ſo kurz geſchnitten wie Häckſel; der beſchränkteſte Rechtsſinn von der Welt er¬ füllte jeden von ihnen, indem keiner begreifen konnte noch wollte, wie der andere ſo offenbar unrechtmäßig und willkührlich den fraglichen un¬ bedeutenden Ackerzipfel an ſich reißen könne. Bei Manz kam noch ein wunderbarer Sinn für Sym¬ metrie und parallele Linien hinzu und er fühlte ſich wahrhaft gekränkt durch den aberwitzigen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0245"n="233"/>
hatte dies am wenigſten erwartet; er glaubte,<lb/>ſein Gegner werde nach alter Weiſe mit dem<lb/>
Pfluge zu Werke gehen wollen und hatte daher<lb/>
abgewartet, bis er ihn als Pflüger ausziehen<lb/>ſähe. Erſt als die Sache ſchon beinahe fertig,<lb/>
hörte er von dem ſchönen Denkmal, welches<lb/>
Manz da errichtet, rannte voll Wuth hinaus,<lb/>ſah die <choice><sic>Beſchwerung</sic><corr>Beſcherung</corr></choice>, rannte zurück und holte<lb/>
den Gemeindeamman, um vorläufig gegen den<lb/>
Steinhaufen zu proteſtiren und den Fleck gericht¬<lb/>
lich in Beſchlag nehmen zu laſſen, und von dieſem<lb/>
Tage an lagen die zwei Bauern in Proceß mit<lb/>
einander und ruhten nicht eher, bis ſie beide<lb/>
zu Grunde gerichtet waren.</p><lb/><p>Die Gedanken der ſonſt ſo wohlweiſen Män¬<lb/>
ner waren nun ſo kurz geſchnitten wie Häckſel;<lb/>
der beſchränkteſte Rechtsſinn von der Welt er¬<lb/>
füllte jeden von ihnen, indem keiner begreifen<lb/>
konnte noch wollte, wie der andere ſo offenbar<lb/>
unrechtmäßig und willkührlich den fraglichen un¬<lb/>
bedeutenden Ackerzipfel an ſich reißen könne. Bei<lb/>
Manz kam noch ein wunderbarer Sinn für Sym¬<lb/>
metrie und parallele Linien hinzu und er fühlte<lb/>ſich wahrhaft gekränkt durch den aberwitzigen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[233/0245]
hatte dies am wenigſten erwartet; er glaubte,
ſein Gegner werde nach alter Weiſe mit dem
Pfluge zu Werke gehen wollen und hatte daher
abgewartet, bis er ihn als Pflüger ausziehen
ſähe. Erſt als die Sache ſchon beinahe fertig,
hörte er von dem ſchönen Denkmal, welches
Manz da errichtet, rannte voll Wuth hinaus,
ſah die Beſcherung, rannte zurück und holte
den Gemeindeamman, um vorläufig gegen den
Steinhaufen zu proteſtiren und den Fleck gericht¬
lich in Beſchlag nehmen zu laſſen, und von dieſem
Tage an lagen die zwei Bauern in Proceß mit
einander und ruhten nicht eher, bis ſie beide
zu Grunde gerichtet waren.
Die Gedanken der ſonſt ſo wohlweiſen Män¬
ner waren nun ſo kurz geſchnitten wie Häckſel;
der beſchränkteſte Rechtsſinn von der Welt er¬
füllte jeden von ihnen, indem keiner begreifen
konnte noch wollte, wie der andere ſo offenbar
unrechtmäßig und willkührlich den fraglichen un¬
bedeutenden Ackerzipfel an ſich reißen könne. Bei
Manz kam noch ein wunderbarer Sinn für Sym¬
metrie und parallele Linien hinzu und er fühlte
ſich wahrhaft gekränkt durch den aberwitzigen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/245>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.