Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Beine auf der Schwelle ihrer Besitzthümer, von
der jeder Lufthauch sie herunterwehte. Aber wie
es ihnen auch erging, der Haß zwischen ihnen
wurde täglich größer, da jeder den andern als
den Urheber seines Unsterns betrachtete, als sei¬
nen Erbfeind und ganz unvernünftigen Wider¬
sacher, den der Teufel absichtlich in die Welt
gesetzt habe, um ihn zu verderben. Sie spieen
aus, wenn sie sich nur von weitem sahen, kein
Glied ihres Hauses durfte mit Frau, Kind oder
Gesinde des andern ein Wort sprechen, bei Ver¬
meidung der gröbsten Mißhandlung. Ihre Wei¬
ber verhielten sich verschieden bei dieser Verar¬
mung und Verschlechterung des ganzen Wesens.
Die Frau des Marti, welche von guter Art
war, hielt den Verfall nicht aus, härmte sich
ab und starb, ehe ihre Tochter vierzehn Jahre
alt war. Die Frau des Manz hingegen be¬
quemte sich der veränderten Lebensweise und um
sich als eine schlechte Genossin zu entfalten, hatte
sie nichts zu thun, als einigen weiblichen Feh¬
lern, die ihr von jeher angehaftet, den Zügel
schießen zu lassen und dieselben zu Lastern aus¬
zubilden. Ihre Naschhaftigkeit wurde zu wilder

Beine auf der Schwelle ihrer Beſitzthümer, von
der jeder Lufthauch ſie herunterwehte. Aber wie
es ihnen auch erging, der Haß zwiſchen ihnen
wurde täglich größer, da jeder den andern als
den Urheber ſeines Unſterns betrachtete, als ſei¬
nen Erbfeind und ganz unvernünftigen Wider¬
ſacher, den der Teufel abſichtlich in die Welt
geſetzt habe, um ihn zu verderben. Sie ſpieen
aus, wenn ſie ſich nur von weitem ſahen, kein
Glied ihres Hauſes durfte mit Frau, Kind oder
Geſinde des andern ein Wort ſprechen, bei Ver¬
meidung der gröbſten Mißhandlung. Ihre Wei¬
ber verhielten ſich verſchieden bei dieſer Verar¬
mung und Verſchlechterung des ganzen Weſens.
Die Frau des Marti, welche von guter Art
war, hielt den Verfall nicht aus, härmte ſich
ab und ſtarb, ehe ihre Tochter vierzehn Jahre
alt war. Die Frau des Manz hingegen be¬
quemte ſich der veränderten Lebensweiſe und um
ſich als eine ſchlechte Genoſſin zu entfalten, hatte
ſie nichts zu thun, als einigen weiblichen Feh¬
lern, die ihr von jeher angehaftet, den Zügel
ſchießen zu laſſen und dieſelben zu Laſtern aus¬
zubilden. Ihre Naſchhaftigkeit wurde zu wilder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0249" n="237"/>
Beine auf der Schwelle ihrer Be&#x017F;itzthümer, von<lb/>
der jeder Lufthauch &#x017F;ie herunterwehte. Aber wie<lb/>
es ihnen auch erging, der Haß zwi&#x017F;chen ihnen<lb/>
wurde täglich größer, da jeder den andern als<lb/>
den Urheber &#x017F;eines Un&#x017F;terns betrachtete, als &#x017F;ei¬<lb/>
nen Erbfeind und ganz unvernünftigen Wider¬<lb/>
&#x017F;acher, den der Teufel ab&#x017F;ichtlich in die Welt<lb/>
ge&#x017F;etzt habe, um ihn zu verderben. Sie &#x017F;pieen<lb/>
aus, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich nur von weitem &#x017F;ahen, kein<lb/>
Glied ihres Hau&#x017F;es durfte mit Frau, Kind oder<lb/>
Ge&#x017F;inde des andern ein Wort &#x017F;prechen, bei Ver¬<lb/>
meidung der gröb&#x017F;ten Mißhandlung. Ihre Wei¬<lb/>
ber verhielten &#x017F;ich ver&#x017F;chieden bei die&#x017F;er Verar¬<lb/>
mung und Ver&#x017F;chlechterung des ganzen We&#x017F;ens.<lb/>
Die Frau des Marti, welche von guter Art<lb/>
war, hielt den Verfall nicht aus, härmte &#x017F;ich<lb/>
ab und &#x017F;tarb, ehe ihre Tochter vierzehn Jahre<lb/>
alt war. Die Frau des Manz hingegen be¬<lb/>
quemte &#x017F;ich der veränderten Lebenswei&#x017F;e und um<lb/>
&#x017F;ich als eine &#x017F;chlechte Geno&#x017F;&#x017F;in zu entfalten, hatte<lb/>
&#x017F;ie nichts zu thun, als einigen weiblichen Feh¬<lb/>
lern, die ihr von jeher angehaftet, den Zügel<lb/>
&#x017F;chießen zu la&#x017F;&#x017F;en und die&#x017F;elben zu La&#x017F;tern aus¬<lb/>
zubilden. Ihre Na&#x017F;chhaftigkeit wurde zu wilder<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0249] Beine auf der Schwelle ihrer Beſitzthümer, von der jeder Lufthauch ſie herunterwehte. Aber wie es ihnen auch erging, der Haß zwiſchen ihnen wurde täglich größer, da jeder den andern als den Urheber ſeines Unſterns betrachtete, als ſei¬ nen Erbfeind und ganz unvernünftigen Wider¬ ſacher, den der Teufel abſichtlich in die Welt geſetzt habe, um ihn zu verderben. Sie ſpieen aus, wenn ſie ſich nur von weitem ſahen, kein Glied ihres Hauſes durfte mit Frau, Kind oder Geſinde des andern ein Wort ſprechen, bei Ver¬ meidung der gröbſten Mißhandlung. Ihre Wei¬ ber verhielten ſich verſchieden bei dieſer Verar¬ mung und Verſchlechterung des ganzen Weſens. Die Frau des Marti, welche von guter Art war, hielt den Verfall nicht aus, härmte ſich ab und ſtarb, ehe ihre Tochter vierzehn Jahre alt war. Die Frau des Manz hingegen be¬ quemte ſich der veränderten Lebensweiſe und um ſich als eine ſchlechte Genoſſin zu entfalten, hatte ſie nichts zu thun, als einigen weiblichen Feh¬ lern, die ihr von jeher angehaftet, den Zügel ſchießen zu laſſen und dieſelben zu Laſtern aus¬ zubilden. Ihre Naſchhaftigkeit wurde zu wilder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/249
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/249>, abgerufen am 21.11.2024.